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Linda Lael Miller

Linda Lael Miller

Titel: Linda Lael Miller
Autoren: Der Preis des Verlangens
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1. Kapitel
    Annabel Latham-McKeiges Rückkehr nach
Parable in Nevada, zwölf Jahre nach ihrer skandalösen Abreise, wäre einer
Wiederauferstehung gleichgekommen, wenn ein Engel sich die Mühe gemacht hätte
zu erscheinen.
    Im
frühmorgendlichen Nebel dieses ungewöhnlich kühlen 4. Juli 1878 tauchte
Annabels himmelblaue Kalesche mit dem goldenen Zierwerk und dem livrierten
Kutscher etwa eine Viertelmeile östlich von der Stadt auf einem Hügel auf,
strahlend wie eine lebende Ikone im roten Glanz der aufgehenden Sonne. Ein
Gefolge, das die halbe Kavallerie der Vereinigten Staaten zu repräsentieren
schien, begleitete den Wagen – ein halbes Regiment Soldaten in blauen Uniformen
mit Bronzeknöpfen, die in der Sonne glitzerten, und Pferden, deren Hufe Wolken
golden schimmernden Staubs aufwirbelten. Zwei riesige schwarze Hunde trotteten
links und rechts von Miss Annabels Kalesche, und auch deren prächtige
Halsbänder glitzerten wie Gold im hellen Licht des frühen Tages.
    Einar
Grubb, der tagsüber den Samhill Saloon reinigte und nachts als Wächter im
Stadtgefängnis diente, behauptete später, er habe als erster das Erscheinen
dieses Trupps gesehen. Es gab andere, die dieser Behauptung widersprachen –
Miss Bethesda Deed zum Beispiel. Immer sehr früh auf den Beinen, hatte sie an
einem ihrer Fenster im ersten Stock gestanden, um den Sonnenaufgang zu
betrachten, und sagte, der lange Troß dort oben auf dem Hügel habe sie an
Hannibals Alpenüberquerung denken lassen.
    Marshal
Jacob Swinger, der gerade von einem Stelldichein mit einer hübschen Witwe
zurückkehrte, betrachtete sich insgeheim als ersten Augenzeugen, worüber er aus
Diskretion und auch aus Vorsicht jedoch lieber schwieg.
    Jedenfalls
war es Grubb, der Alarm schlug, indem er die Schwingtüren des Saloons krachend
aufstieß und die halbe Treppe im Hintergrund des großen Saals hinaufstürmte,
bevor er sich eines Besseren besann und stolpernd im ersten Stock zum Halten
kam.
    »Gabe!«
brüllte er, hilflos und vorwurfsvoll wie eine Kuh, die bis zum Bauch in einem
Schlammloch steckt. »Gabe McKeige! Himmelherrgott, komm sofort herunter – sie
ist zurückgekehrt!«
    Ein
allgemeiner Aufruhr brach nun aus, nicht nur in dem düsteren Saloon, sondern
überall in dieser kleinen Rinderstadt, als wäre nun endlich die Zündschnur an
einem riesigen Feuerwerkskörper gezündet worden.
    Prostituierte
mit aufgelösten Haaren und schäbigen, gerüschten Nachthemden drängten sich,
empört über das frühe Wecken, murrend um das obere Geländer. Einige der
Stammkunden stolperten hinter ihnen auf den Korridor wie blinde Kaninchen, die
aus einem Sack entlassen wurden, streiften hastig Stiefel über und schlossen
Hosenknöpfe, während sie zur Hintertreppe eilten und dabei mindestens ebensoviel
Lärm verursachten wie das Regiment Soldaten draußen.
    Dann
erschien Gabe McKeige, der bereits voll angekleidet war und offenbar nicht die
geringste Eile hatte, seine Haut zu retten. Er war ein großer Mann, schlank,
aber durchtrainiert und kräftig, und wäh rend er stirnrunzelnd auf Grubb
hinabsah, strich er ärgerlich mit beiden Händen durch sein blondes Haar.
    »Was zum
Teufel ...?«
    In diesem
Moment war Einar heilfroh, daß er einen guten Grund dafür besaß, McKeige aus
dem Bett seiner Geliebten geholt zu haben, denn der Ausdruck in Gabes blauen
Augen war gefährlich genug, um den Teufel persönlich abzuschrecken.
    »Es ist
Miss Annabel – Mrs. McKeige, meine ich!« stieß Grubb hervor und zeigte in
Richtung Osten. »Sie ist nach Parable zurückgekehrt und hat die halbe Armee bei
sich!«
    Fluchend
stürmte Gabe die Treppe hinunter, drängte sich an Grubb vorbei und in die große
Halle. Als er die Tür erreichte, war er im ersten Moment geblendet vom Glitzern
der Bronze und dem hellen Sonnenschein des frühen Morgens.
    Er kniff
die Augen zu, um besser sehen zu können – und tatsächlich, da war Annabel!
Gelassen saß sie inmitten all dieses Getümmels auf dem ledergepolsterten Sitz
ihrer Kalesche und schaute hochmütig auf ihn herab, mit der ganzen Verachtung
einer Königin, die gekommen war, um dieses Volk von Hinterwäldlern zu erobern
und ihnen Zucht und Ordnung beizubringen.
    Ein Gefühl,
das er längst vergessen geglaubt hatte, durchzuckte Gabe bei ihrem Anblick.
    Annabel
mußte lange in diesem Wagen unterwegs gewesen sein, auch in der vergangenen
Nacht, da die nächste
Siedlung, Fort Duffield, fast acht Meilen weit entfernt war. Dennoch sah sie so
frisch aus wie der
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