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Visite bei Vollmond

Visite bei Vollmond

Titel: Visite bei Vollmond
Autoren: Cassie Alexander
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Begegnung, die jetzt zehn Tage zurücklag. Sweet Sixteen heißt es bei Billy Idol, aber welche Sechzehnjährige hätte das je so empfunden?
Sie streckte Minnie ein Haarband entgegen, an dem die Katze voller Freude zog.
Als sie mich sah, warf sie einen amüsierten Blick auf die Saugglocke und
lächelte breit genug, um ein wenig Fangzahn zu zeigen.
    Sie wirkte fast menschlich, und
das war sie schließlich auch. Irgendwie. Anna war ein lebender Vampir, das Kind
zweier Tageslichtagenten, eine vampirische Laune der Natur – und das Mädchen,
bei dessen Rettung ich geholfen hatte.
    Sicher, sie war ein Vampir,
aber ich konnte einfach nicht anders: Es freute mich total, sie zu sehen. Ich
machte einen Schritt in ihre Richtung, um sie zu umarmen.
    Â»Lassen Sie sofort den Pflock
fallen!«, rief eine männliche Stimme aus der Küche.
    Â»Was?« Ich hörte, wie der Hahn
einer Waffe gespannt wurde.
    Â»Gideon!«, ermahnte Anna ihn
scharf. »Ist schon okay.«
    Â»Es ist okay? Da ist ein Mann
mit einer Waffe in meiner Küche!« Ich hielt die Saugglocke auf ihn gerichtet
wie einen Zauberstab.
    Â»Entschuldige, Edie …« Anna gab
dem Mann ein Zeichen. »Bitte, Gideon.«
    Der Mann, dessen Outfit so
dunkel gehalten war, dass er sich kaum von meinen Schränken abhob, ließ den
Verschluss der Waffe zurückgleiten und senkte den Lauf.
    Â»Danke.« Anna schenkte ihm noch
ein knappes Nicken, bevor sie sich wieder mir zuwandte. Der richtige Moment für
eine Umarmung war vorbei. Ich legte die Saugglocke weg.
    Â»Wie seid ihr hier
reingekommen?«
    Â»Du hast mich doch eingeladen.«
    Ja, damals, als sie noch
ausgesehen hatte wie eine Neunjährige. »Aber die Tür war abgeschlossen.«
    Â»Gideon verfügt über viele
Talente.«
    Â»Konntet ihr nicht draußen
warten? Rufen? Anklopfen?«
    Â»Wir haben geklopft, aber du
hast uns nicht gehört. Dieses Deutsch brabbelnde Ding, das du hier hast,
allerdings schon.«
    Â»Ich stand unter der Dusche.«
Großvater schwieg jetzt – aber irgendwie fühlte ich mich ein wenig sicherer mit
ihm auf dem Tresen, also zwischen Gideon und mir. Falls der Typ näher kam,
würde Großvater ihm bestimmt lautstark etwas entgegnen. Ich zog den Kragen
meines Bademantels enger zusammen und setzte mich auf die Couch. »Seit wann
bist du denn so alt?«
    Anna lächelte. »Seit sie
angefangen haben, mich anständig zu füttern. Ich kann es einigermaßen
kontrollieren.«
    Sie sah aus wie die Schülerin
eines Gothic-Internats. Die blonden Locken wurden von einer schwarzen Spange
zusammengehalten und waren zum ersten Mal, seit ich sie kannte, einigermaßen
gebändigt worden. Ihr weinroter Rollkragenpullover wurde von einer Taschenuhr
geschmückt, die an einer goldenen Kette um ihren Hals hing. Dazu trug sie einen
knielangen, schwarzen Filzrock, eine weinrote Strumpfhose und warme
Winterstiefel. Bisher hatte ich sie fast nur in einem schäbigen Nachthemd
gesehen, das mit dem Blut anderer Leute befleckt gewesen war, außerdem war sie
fast immer voller Zorn gewesen.
    Â»Du siehst gut aus«, stellte
ich mit einem Nicken fest.
    Â»Ich wohne bei Sike. Sie borgt
mir ihre Sachen.« Das Model Sike war eine gemeinsame Bekannte von uns. Sie war
die Tageslichtagentin eines Vampirs, den Anna und ich kannten, und bei ihr
konnten Stilettoabsätze ebenso tödlich sein wie eine Klinge.
    Anna stand auf, setzte sich
neben mich und rümpfte angewidert die Nase. »Du bist zwar sauber, aber deine
Wohnung stinkt nach Blut und Werwolf.«
    Es hatte keinen Zweck, sie
anzulügen. »Das hat einen bestimmten Grund, aber ich darf dir dazu nichts
sagen. Datenschutz, Patientenrechte und so weiter.« Ich warf einen prüfenden
Blick auf den Fremden in meiner Küche. Hatten Krankenschwestern eigentlich kein
Recht auf Privatsphäre? »Warum ist der hier?«
    Â»Gideon ist mein Fahrer.«
    Â»Aha.« Ich wollte gar nicht
wissen, warum Anna einen bewaffneten Fahrer brauchte. Na ja, eigentlich schon,
aber … Charles hatte nicht ganz unrecht mit dem, was er heute Nachmittag gesagt
hatte. Zu gerne hätte ich Anna gefragt, wie es ihr seit ihrem Verschwinden so
ergangen war – eben all das, wonach man sich bei Freunden erkundigt, die man
eine Weile nicht gesehen hat. Nur dass solche Freunde meist keine Vampire sind.
Außerdem hatte ich ihr schon ein Weihnachtsgeschenk gekauft, nur
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