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Visite bei Vollmond

Visite bei Vollmond

Titel: Visite bei Vollmond
Autoren: Cassie Alexander
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plötzlich genauso düster wie die grauen Wolken.
    Â» Code Fell ,
Edie. Hol uns sofort Domitor.« Er suchte in der Manteltasche nach seinem Handy.
»Ich rufe auf der Station an.« In einiger Entfernung ertönten die Sirenen eines
Krankenwagens. »Du musst zurück sein, bevor die Sanitäter hier sind.«
    Ich stand auf, suchte Halt auf
dem vereisten, blutverschmierten Boden und rannte los.
    Hastig schlängelte ich mich
zwischen den Gaffern hindurch, die inzwischen die Straße säumten, und erreichte
mit schweren Schritten das Klinikgelände. Zum Glück wurden die Fußwege bei uns
enteist, damit die Patienten, die ja oft mit Krücken, Gehhilfen oder
Rollstühlen unterwegs waren, es leichter hatten.
    Ich sprintete an den
Bürogebäuden vorbei, in denen sich unsere Krankenhausbürokratie abspielte, dann
an den zwanzig Autoreihen auf dem Mitarbeiterparkplatz vorbei, über die
Krankenwagenzufahrt direkt auf den Haupteingang zu.
    Eine Krankenschwester in OP -Kleidung kann
problemlos durch ein Krankenhaus rennen; die Leute machen einem sofort Platz,
weil sie glauben, dass man irgendwo ganz dringend gebraucht wird. Wenn man allerdings
in blutverschmierter Straßenkleidung in die Eingangshalle rast …
    Â»Was ist hier los?« Unser
Wachmann hob mahnend eine Hand und prüfte sorgfältig, ob hinter mir vielleicht
irgendwelche Verfolger auftauchten.
    Â»Notfall«, keuchte ich.
Ruckartig zog ich meinen Dienstausweis aus der Hosentasche, streckte ihn dem
Mann entgegen und wollte mich an ihm vorbeischieben. »Muss weiter …«
    Â»Nicht so schnell.«
    Â»Muss weiter!« Damit bog ich in den nächsten Flur ab und
rannte Richtung Treppenhaus.
    Selbst zu meinen besten Zeiten
war ich nicht sonderlich sportlich gewesen, und bei der Arbeit auf Y4 verdiente ich nicht
genug, um mir ein Fitnessstudio leisten zu können. Außerdem war Sport durch
meine Arbeit hier auf meiner Prioritätenliste etwas abgesackt – es war wichtiger,
am Leben zu bleiben. Aber jetzt rannte ich so schnell ich konnte, auch wenn
meine Knie und meine Lunge brannten. Ich hatte Charles da draußen mit einem
Werwolf zurückgelassen, zwischen wer weiß wie vielen unbeteiligten Passanten.
Und das, nachdem er schon einmal das Opfer eines Werwolfangriffs geworden war.
    Bis ich unseren Aufzug
erreichte, musste ich ein ganzes Labyrinth aus Gängen hinter mich bringen. Ich
raste in einem Affentempo durch die Flure und hatte den Wachmann irgendwann
abgeschüttelt. Endlich kam ich zu dem Fahrstuhl, der zu Y4 führte, und rannte fast
die Tür ein, weil ich kaum bremsen konnte. Hektisch wedelte ich mit meinem
Dienstausweis vor dem Sensorfeld herum, dann stützte ich die Hände auf die Knie
und rang nach Luft. Meine Oberschenkelmuskulatur zuckte wie unter Stromstößen,
und meine Knie wollten am liebsten den Dienst quittieren.
    Die Fahrstuhltüren gingen nicht
auf. Wieder zog ich meinen Ausweis über den Sensor. Das kleine Lämpchen wurde
grün, aber nichts rührte sich.
    Â»Komm schon.« Wieder und wieder
schwenkte ich meine Zugangskarte, dann suchte ich in den Nischen an der Decke
nach den Schatten, jenen Wesen, die als Torwächter zu unserer Station
fungierten. »Ich weiß genau, dass ihr zuseht. Macht schon!«
    Endlich ertönte ein
metallisches Scheppern, und der Aufzug kam an. Die orangefarbenen Metalltüren
gingen auf – und eine Schwester aus der Tagesschicht, die ich schon öfter
gesehen hatte, streckte mir hilfsbereit eine 60 ccm-Spritze und einen
Alkoholtupfer entgegen.
    Â»Sag Dr. Carlson, dass er sich
bereithalten soll«, wies ich sie an, während ich ihr die Sachen aus der Hand
riss.
    Â»Alles klar.«
    Ich drehte mich um und wollte
schon zurückrennen, wirbelte dann aber noch einmal herum. »I.v. oder i.m.?«,
schrie ich. Ich gehörte nicht zu den Tierärzten der Station, woher zum Teufel
sollte ich also wissen, wie dieses Medikament verabreicht wurde?
    Â»Intramuskulär!«, rief sie mir
zu, kurz bevor sich die Fahrstuhltüren vor ihr schlossen.
    Ich raste nach draußen.
Meine Lunge schien inzwischen in Flammen zu stehen. Jedes Mal, wenn meine
Schuhe das Pflaster berührten, zuckten Blitze aus Schmerz durch meine
Schienbeine. An einer schlecht beleuchteten Stelle übersah ich eine Eisplatte,
rutschte aus und war im Begriff, der Länge nach hinzufallen. Noch im Sturz hielt
ich die Spritze
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