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Visite bei Vollmond

Visite bei Vollmond

Titel: Visite bei Vollmond
Autoren: Cassie Alexander
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schützend vor meinen Körper und drehte mich zur Seite, wobei
ich froh war, dass die Nadel mit einer Kappe gesichert war. Die Injektion einer
Werwolfdosis Domitor würde mich mit Sicherheit umbringen. Dann landete ich im
nassen Schnee. Einen Moment lang war ich benommen, dann rappelte ich mich
wieder auf und stolperte wie ein junges Fohlen zurück auf den Fußweg. In meinen
Knien pochte es, und ein Sprunggelenk schien gezerrt zu sein, aber das
Medikament war noch da, die Spritze war noch voll, die Kappe noch drauf. Und
ich musste nur noch eineinhalb Blocks hinter mich bringen.
    Sirenen heulten, und über
Lautsprecher wurde den Autofahrern befohlen, Platz zu machen. Der Verkehr war
fast zum Erliegen gekommen, die Wagen bildeten eine Gasse, um den Krankenwagen
durchzulassen. Ich rannte an den gleichen Autos vorbei, denen ich vorhin noch
ausgewichen war, kam endlich wieder bei Charles an und überreichte ihm die
Spritze wie einen Staffelstab.
    Dann fiel ich schnaufend auf
die Knie und atmete in tiefen Zügen die Abgase der Autos ein, die an uns
vorbeischlichen. Ich kniete in dem erkalteten Blut des Fremden – was sich
ähnlich unangenehm anfühlte wie die langsam einfrierenden Schweißflecke auf
meinem Rücken. Der Mann lag immer noch am Boden, war immer noch dem Tode nah
und starrte uns aus braunen Augen an, die von blau-grauen Blutergüssen umgeben
waren.
    Â»I.m.«, keuchte ich.
    Â»Danke.« Charles zog die
Schutzkappe von der Spritze, beugte sich über den Mann und schirmte ihn mit
seinem Körper ab, sodass niemand sah, was er tat. Gekonnt stach er die Nadel in
den gesunden Oberschenkel des Mannes, der sofort anfing zu zucken. Ich packte
seine Hand und spürte, wie die Verwandlung einsetzte und eine enorme Kraft
durch seinen Körper strömte. Seine Fingernägel wuchsen rasant und gruben sich
in meine Haut. Leicht gebeugt hielt ich ihm meinen Dienstausweis vor die Nase.
»Wir kümmern uns um Sie. Wir wissen, was Sie sind. Wir sind Nichtkombattanten,
aber hier stehen eine Menge Zivilisten herum. Also benehmen Sie sich, okay?«
    Seine Atmung war flach, aber
stetig. Kurz bevor seine Nägel mich blutig kratzen konnten, setzte die Wirkung
des Domitor ein und sein Körper erschlaffte.
    Charles drehte sich ruckartig
zu einem weiteren Gaffer um, der sein Handy gezückt hatte, und bespritzte ihn
dabei mit Blut. »Welchen Teil von ›keine Fotos‹ haben Sie nicht verstanden?«
    Der Übeltäter wich hastig den
Spritzern aus, geriet dabei zwischen die fahrenden Autos und wurde angehupt.
Das hätte uns gerade noch gefehlt, wenn noch jemand überfahren würde …
    Â»Nehmen Sie das Telefon runter,
Sir«, befahl ein Polizist, woraufhin der Gaffer missmutig das Handy wegsteckte.
    Der Krankenwagen kam. Sanitäter
sprangen heraus und einer von ihnen wollte mich sofort verscheuchen. »Bitte
treten Sie zurück, Ma’am …«
    Â»Wir sind Krankenpfleger. Wir
haben versucht, die Blutung zu stillen«, erklärte Charles und deutete auf sein
Knie, das immer noch auf dem Oberschenkel des Werwolfs ruhte.
    Â»Was ist passiert?«
    Â»Er wurde von einem Laster
überfahren«, sagte ich. »Kopf- und Beinverletzungen, wie es aussieht.« Das war
ja mal die Diagnose des Jahrhunderts, Schwester Spence.
    Der Sanitäter zog eine Trage
und eine Halskrause aus dem Krankenwagen. Die Atmung des Verletzten wurde
schwächer. Lag das am Domitor, oder war er dem Tod so nahe? »Sieht nicht gut
aus«, sagte er, tastete nach dem Hals des Mannes und legte ihm die
Zervikalstütze an.
    Ich war ganz seiner Meinung.

Kapitel 3
    Â 
    Das
Gefühl von trocknendem Blut an den Fingern konnte ich nicht abschütteln.
Natürlich hätte ich die Handschuhe ausziehen können, aber dann wären meine
Finger kalt – oder eher noch kälter – geworden, außerdem waren sie
kontaminiert, und ich wusste nicht, wo ich sie hätte hintun sollen. Schließlich
konnte ich sie nicht einfach hier liegen lassen, obwohl zumindest die
Rettungssanitäter genau das taten: Sie verstreuten überall Papier und Plastik.
Die kleineren Teile wurden vom Fahrtwind der Autos sogar wie Bonbonpapier durch
die Luft gewirbelt. Mit routinierter Effizienz widmeten sich die Sanitäter dem
Werwolf, fixierten, rollten und flickten ihn zusammen wie einen zerlaufenen Brotteig.
Ich stand steif daneben, streckte meine blutigen Hände weit von mir und
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