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Virtuelles Licht

Virtuelles Licht

Titel: Virtuelles Licht
Autoren: William Gibson
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sagte Rydell. »War nicht mal von der letzten Dosis runter, die er sich in die Nase gezogen hatte.«
    »Stimmt wohl, ja«, sagte sie, »aber er war auch ein Mitglied der Erwachsenen Überlebenden des
    Satanismus, und jetzt fangen die an, sich für den Fall zu interessieren. Deshalb halten sowohl Mr. Pursley als 32
    auch Mr. Ma es für das beste, wenn wir so bald wie möglich von hier verschwinden, Berry. Sie und ich.«
    »Aber was ist mit den Prozessen?«
    »Das Department hat Sie suspendiert, Sie sind bis jetzt in keinem Punkt angeklagt, und der Name Ihres Anwalts ist Aaron-mit-zwei-a's Pursley. Sie sind raus aus der Sache, Berry.«
    »Nach L.A.?«
    »Sie sagen es.«
    Rydell sah sie an. Er dachte an das Los Angeles im Fernsehen. »Ob ich die Stadt wohl mögen werde?«
    »Zunächst mal wird die Stadt wahrscheinlich Sie mögen. Ich weiß, daß ich Sie mag.«
    So kam es, daß er schließlich mit einer Anwältin ins Bett ging — einer, die wie eine Million Dollar roch, obszöne Sachen sagte, sich ganz um ihn herumwickelte und Unterwäsche aus Mailand trug, das in Italien lag.
     
    »Tödliche Zwickmühle. Cyrinda Burdette, Gudrun Weaver, Dean Mitchell, Shinobu Sakamaki. 1997.«
    »Nie gesehen«, sagte Rydell und trank den Rest
    seines großen entkoffeinierten kalten Cappuccino mit Extra-Schuß aus dem milchigen Eis auf dem Boden seines Thermosbechers aus Plastik.
    »Mama hat Cyrinda Burdette gesehen. Im
    Einkaufszentrum drüben bei Waco. Hat auch ein
    Autogramm von ihr gekriegt. Das hat sie auf den
    Fernseher getan, zusammen mit den Gebetstüchern und 33
    ihrem Hologramm von Reverend Wayne Fallen. Sie hat ein Gebetstuch für alles und jedes. Eins für die Miete, eins gegen AIDS, gegen TB ...«
    »Ah ja? Und was hat sie mit denen gemacht?«
    »Sie hat sie auf den Fernseher getan«, erklärte Sublett und trank die letzten paar Zentimeter vierfach destillierten Wassers, die noch in der dünnen, durchsichtigen Flasche waren. In diesem Teil des Sunset gab es nur einen Laden, der das Zeug verkaufte, aber das machte Rydell nichts aus; er lag gleich neben einem Coffee-Shop mit Straßenverkauf, und sie konnten auf dem Parkplatz an der Ecke parken. Der Bursche, der den Parkplatz bewachte, schien sich immer zu freuen, wenn er sie sah.
    »'n Gebetstuch hilft nicht gegen AIDS«, sagte Rydell.
    »Laß dich impfen, wie alle anderen. Und deine Mama auch.« Durch das entspiegelte Fenster konnte Rydell an der Betonmauer, die als einziges von dem Gebäude übriggeblieben war, das hier mal gestanden hatte, einen Straßenschrein für J.D. Shapely sehen. In West Hollywood sah man viele von den Dingern. Jemand
    hatte in leuchtendem Pink ›SHAPELY WAR EIN
    SCHWULER SCHWANZLUTSCHER‹ hingesprüht, in ein
    Meter hohen Buchstaben, und dann ein großes rosarotes Herz dazugesetzt. An der Mauer darunter klebten Postkarten von Shapely und Fotos von Leuten, die
    gestorben sein mußten. Nur Gott allein wußte, wie viele Millionen es gewesen waren. Auf dem Bürgersteig am 34
    Fuß der Mauer lagen verwelkte Blumen, Kerzensrümpfe und anderes Zeug. Die Postkarten machten Rydell eine Gänsehaut; der Kerl sah auf den Dingern aus wie eine Kreuzung zwischen Elvis und einem katholischen Heiligen, hager und mit zu großen Augen.
    Er drehte sich zu Sublett um. »Mann, wenn du's immer noch nicht fertiggebracht hast, dir den Arsch impfen zu lassen, dann hast du das nur der verbohrten Ignoranz dieses weißen Packs zu verdanken.«
    Sublett zog den Kopf ein. »Das ist schlimmer als 'n Lebendimpfstoff, Mann; das ist 'ne ganz neue
    Krankheit!«
    »Ja, sicher«, sagte Rydell, »aber die tut dir nichts.
    Und hier laufen immer noch massenweise Leute mit der alten rum. Sie sollten's zur Pflicht machen, wenn du mich fragst.«
    Sublett erschauerte. »Reverend Fallon hat immer
    gesagt ...«
    »Scheiß auf Reverend Fallon.« Rydell drückte auf
    den Starter. »Der Mistkerl macht einfach bloß Kohle, indem er Leuten wie deiner Mama Gebetstücher
    andreht. Du hast doch eh gewußt, daß das alles Käse war, oder? Warum bist du sonst hergekommen?« Er legte den Gang ein und fädelte sich in den Verkehr auf dem Sunset ein. Einen Vorteil hatte es, wenn man einen Hotspur Hussar fuhr: Die Leute ließen einen fast immer rein.
35
    Subletts Kopf schien zwischen seinen hochgezogenen Schultern runterzuhängen, was ihm das Aussehen eines bekümmerten, stahläugigen Bussards verlieh. »Ganz so einfach isses auch wieder nicht«, sagte er. »Das ist die Welt, in die ich reingewachsen bin.
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