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Virtuelles Licht

Virtuelles Licht

Titel: Virtuelles Licht
Autoren: William Gibson
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Silbermosaik. Warum darf es die ohnehin schon unerträgliche Luft mit seinem Dreck noch weiter verpesten? Wer sitzt da drin, hinter der schwarzen Windschutzscheibe?
    Zitternd beobachtet er das Ding, während es
    vorbeifährt.
    »Der Wagen da ...« Er merkt, daß er sich vorbeugt und wie aus einem inneren Zwang heraus auf den breiten braunen Nacken des Fahrers einredet, dessen dicke Ohrläppchen ihn irgendwie an moderne Keramik erinnern, wie sie im Shopping-Kanal des Hotels angeboten wird.
    8
    »El coche«, sagt der Fahrer, der keine Maske trägt und den Kurier jetzt, als er sich umdreht, zum ersten Mal richtig wahrzunehmen scheint. Der Kurier sieht den verspiegelten Cadillac einmal kurz im reflektierten Rubinrot eines Nachtklub-Lasers aufblitzen, dann ist er verschwunden.
    Der Fahrer starrt ihn an.
    Er befiehlt dem Fahrer, ihn zum Hotel
    zurückzubringen.
    Er erwacht aus einem Traum mit metallischen
    Stimmen in den gewölbten Hallen eines europäischen Flughafens; flüchtige Bilder von fernen Gestalten in stummen Abschiedsritualen.
    Dunkelheit. Das Zischen der Klimaanlage.
    Die Berührung von Baumwollaken. Sein Telefon
    unter dem Kopfkissen. Verkehrsgeräusche, gedämpft von den gasgefüllten Fenstern. Alle Anspannung, seine panische Angst ist verschwunden. Er erinnert sich an die Atriumbar. Musik. Gesichter.
    Er registriert eine innere Ausgeglichenheit, ein seltenes Gleichgewicht. Das ist das einzige, was für ihn Frieden bedeutet.
    Und ja, die Brille ist da, sie steckt neben seinem Telefon. Er zieht sie heraus und klappt die Bügel mit einer schuldbewußten Freude auseinander, die irgendwie seit Prag geblieben ist.
    Er liebt sie schon fast ein Jahrzehnt lang, obwohl er nicht in solchen Begriffen denkt. Aber er hat nie ein 9
    anderes Stück Software gekauft, und die schwarzen Plastikrahmen haben schon einiges von ihrem Glanz verloren. Das Etikett auf der Kassette ist mittlerweile unleserlich, weiß und aufgerauht von seiner nächtlichen Berührung. So viele Zimmer wie dieses hier.
    Er zieht es schon lange vor, sie still zu genießen. Die gelb verfärbten Audiostöpsel steckt er nicht mehr ein. Er hat gelernt, seinen eigenen Ton dazuzugeben; er flüstert mit ihr, während er durch die behäbigen Titel und die mondbeschienene, zerklüftete Hügellandschaft eines Ortes vorspult, der weder Hollywood noch Rio, sondern eine weichgezeichnete digitale Annäherung an beide ist.
    Sie wartet immer auf ihn, in dem weißen Haus an der Straße, die durch den Canyon führt. Die Kerzen. Der Wein. Das Kleid mit den schwarzen Perlen auf ihrer mattglänzenden, perfekten Haut — was für ein Weiß!
    —, die schwarzen Perlen, die glatt und kühl wie ein Schlangenbauch über ihren straffen Schenkel nach oben laufen.
    Weit entfernt, unter Baumwollaken, bewegen sich seine Hände.
    Als er später auf einen andersgearteten Schlaf zutreibt, läutet das Telefon unter seinem Kopfkissen leise und nur ein einziges Mal.
    »Ja?«
    »Wir bestätigen Ihre Buchung für San Francisco«, sagt jemand, entweder eine Frau oder eine Maschine. Er 10
    drückt auf eine Taste, zeichnet die Flugnummer auf, sagt gute Nacht und schließt die Augen vor dem schwachen Licht, das an den Rändern der dunklen Vorhänge hereinsickert.
    Ihre weißen Arme umschließen ihn. Ihr ewiges Blond.
    Er schläft.
    11

Auf Streife mit Gunhead
    IntenSecure ließ seine Streifenwagen nach jeweils drei Einsätzen in einer großen Spezialwaschanlage in der Nähe der Colby gründlich reinigen; zwanzig Schichten Wet Honey Sienna, per Hand eingerieben, dann kamen sie nicht allzusehr runter.
    An jenem Novemberabend, als die Republik der
    Sehnsucht seiner Karriere bei IntenSecure Armed
    Response ein Ende setzte, war Berry Rydell ein bißchen zu früh dort aufgekreuzt.
    Es gefiel ihm, wie es drinnen roch. Sie hatten dieses pinkfarbene Zeug, das sie in die Hochdruck-Waschanlage gaben, um den Schmutzfilm vom Lack runterzukriegen, und der Geruch erinnerte ihn an einen Sommerjob in Knoxville, in seinem letzten Schuljahr. Sie hatten das Gemäuer des großen alten Safeway-Ladens draußen auf der Jefferson Davis zu Eigentumswohnungen umgebaut. Die Architekten wollten, daß die Schlackensteinmauern auf eine ganz bestimmte Weise abgezogen wurden, nämlich so, daß größtenteils das Grau durchkam, daß aber ein bißchen was von dem alten pinkfarbenen Safeway-Anstrich in den kleinen Ritzen und Vertiefungen erhalten blieb. Sie 12
    waren aus Memphis, und sie trugen schwarze Anzüge und weiße
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