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Virtuelles Licht

Virtuelles Licht

Titel: Virtuelles Licht
Autoren: William Gibson
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die Frau hatte auf 25
    den Knopf gedrückt, und jetzt taten sie so, als ob alles eine technische Panne wäre. Aber es konnte keine Panne sein, weil jemand auf den Knopf gedrückt haben mußte, und dann war keine Reaktion auf den Paßwort-Rückruf gekommen, der drei Komma acht Sekunden später zu ihnen rausgegangen war. Sie mußte irgendwas mit den Telefonen angestellt und dann auf den Knopf gedrückt haben, dachte Rydell. Er war in dieser Nacht mit ›Big George‹ Kechakmazde gefahren, und dem Georgier (aus Tiflis, nicht aus Atlanta) hatte es auch nicht gefallen. »Schau dir die Leute an, das sind Teilnehmer, Mann. Keiner blutet, also schaffst du deinen Arsch da raus, okay?« hatte Big George hinterher gesagt. Aber Rydell erinnerte sich immer wieder an einen gespannten Zug um die Augen der Frau und daran, wie sie den Kragen ihres großen weißen Hausmantels um den Hals herum zugezogen hatte. Ihr Mann in einem dazu passenden Hausmantel, aber mit dicken, behaarten
    Beinen und einer teuren Brille. Irgendwas hatte da nicht gestimmt, aber er würde nie erfahren, was. Ebensowenig würde er jemals begreifen, wie ihr Leben eigentlich funktionierte — ein Leben, das so aussah wie im Fernsehen, aber nicht so war.
    L.A. war voller Geheimnisse, wenn man es so
    betrachtete. Da taten sich Abgründe auf.
    Mit der Zeit machte es ihm jedoch Spaß, durch die Stadt zu fahren. Nicht, wenn er irgendwohin mußte, aber einfach so mit Gunhead herumzukurven — das war
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    okay. Jetzt bog er auf den La Cienega ein, und der kleine grüne Cursor auf dem Armaturenbrett tat das gleiche.
    »Totaler Sperrbezirk«, sagte Sublett. »Herve Villechaize, Susan Tyrell, Marie-Pascal Elfman, Viva.«
    »Viva?« fragte Rydell. »Viva wer?«
    »Viva. Die Schauspielerin.«
    »Wann haben sie den gemacht?«
    »1980.«
    »Da war ich noch nicht auf der Welt.«
    »Die Zeit im Fernsehen ist immer dieselbe, Rydell.«
    »Mann, und ich dachte, du versuchst, über deine
    Erziehung und alles wegzukommen.« Rydell entspiegelte das Türfenster, um eine Rothaarige, die in einem pinkfarbenen Daihatsu Sneaker ohne Dach an ihm
    vorbeizog, besser in Augenschein nehmen zu können.
    »Jedenfalls hab ich den nicht gesehen.« Es war genau die Stunde am Abend, in der Frauen in Autos in Los Angeles besser aussahen als alles andere. Der
    Gesundheitsminister setzte sich für das Verbot von Cabrios ein; er sagte, sie trügen zur Erhöhung der Hautkrebsrate bei.
    »EndGame. Al Cliver, Moira Chen, George
    Eastman, Gordon Mitchell. 1985.«
    »Tja, da war ich zwei«, sagte Rydell. »Aber den hab ich auch nicht gesehen.«
    Sublett verstummte. Er tat Rydell leid; der Texaner kannte tatsächlich keine andere Methode, ein Gespräch 27
    anzufangen, und seine Leute daheim im Wohnwagen-Camp würden all diese Filme und noch viele andere gesehen haben.
    »Tja also«, sagte Rydell in dem Versuch, seinerseits etwas zu dem Gespräch beizutragen, »ich hab mir gestern abend diesen alten Film angesehen ...«
    Sublett merkte auf »Welchen?«
    »Keine Ahnung«, sagte Rydell. »Da ist so 'n Typ in L.A., der hat gerade 'n Mädchen kennengelernt. Dann nimmt er in 'ner Telefonzelle den Hörer ab, weil der Apparat klingelt. Spät nachts. So ein Typ in einem Raketensilo irgendwo ist dran, der weiß, daß sie ihre Dinger gerade auf die Russen abgeschossen haben. Er will seinen Vater oder seinen Bruder oder so anrufen.
    Sagt, das Ende der Welt steht vor der Tür. Dann hört der Typ, der den Hörer abgenommen hat, wie die Soldaten reinkommen und ihn umlegen. Den Kerl am
    Telefon, meine ich.«
    Sublett schloß die Augen und suchte seine inneren Trivialitätenbänke ab. »Ja und? Wie isses
    ausgegangen?«
    »Keine Ahnung«, sagte Rydell. »Ich bin
    eingeschlafen.«
    Sublett machte die Augen auf. »Wer hat mitgespielt?«
    »Ertappt.«
    Subletts blanke Silberaugen weiteten sich ungläubig.
    »Herrgott noch mal, Berry, du solltest echt nicht fernsehen, wenn du nicht aufpassen kannst.«
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    Er lag nicht sehr lange im Krankenhaus, nachdem er Kenneth Turvey erschossen hatte; knapp zwei Tage.
    Sein Anwalt, Aaron Pursley persönlich, argumentierte, daß sie ihn länger hätten dabehalten sollen, um das Ausmaß seines posttraumatischen Schocks besser einschätzen zu können. Aber Rydell haßte
    Krankenhäuser, und abgesehen davon fühlte er sich nicht allzu schlecht; er konnte sich nur nicht genau erinnern, was passiert war. Außerdem hatte er Karen Mendelsohn, die ihm half, und seinen neuen Agenten, Wellington Ma, um mit
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