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Villa Oma

Villa Oma

Titel: Villa Oma
Autoren: Ilse Kleberger
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Küche herumstiebte, zog im Vorbeigehen Brigitte am Zopf, stolperte über die eben wieder aufgestellten Mensch-ärgere-Dich-nicht-Figuren, faßte Oma um die Taille, wirbelte sie einmal rund durch die Küche, gab ihr einen Kuß auf die Nase und schrie:
    „Juhu!“
    „Was ist los? Du spinnst wohl!“ riefen die Kinder durcheinander.
    Jimmy ließ Oma los, stand strahlend da mit einem Mehlfleck auf der Backe und angelte in der Hosentasche seiner Jeans nach einem Blatt Papier, das er feierlich auseinanderfaltete. Er fing an zu lesen: „Sehr geehrter Herr Söderboom — das bin nämlich ich, der Jimmy — “, sagte Jimmy mit feierlicher Verbeugung und fuhr fort, „Ihr Trompetenkonzert ZWIEGESPRÄCH MIT EINEM FREUND ist von unserem Orchester einstimmig zur Aufführung angenommen worden. Wenn Sie ein ebenso guter Trompeter wie Komponist sind, möchten wir Sie bitten, den Solopart zu übernehmen. Gez. Schmidt, Agent der Longhairband .“ Jimmy holte tief Luft. „Was sagt ihr nun? Das beste Jazz-Orchester Deutschlands nimmt mein Konzert zur Aufführung an, und ich soll die Solotrompete spielen. Juhu!“ Und er fing an, alle abzuküssen, die sich um ihn drängten, um ihm zu gratulieren: Oma und Brigitte und Rolf, Jan und beinahe auch Agathe.
    Am andern Tag luden sie Jimmys Gepäck auf den Karren, spannten Peppino davor und fuhren Jimmy zur Bahn. Jetzt war Jimmy nicht mehr so lustig. Obgleich der Zug noch nicht da war, sagte er rauh :
    „Geht man lieber nach Hause und wartet nicht, ich kann endlose Abschiede nicht leiden.“
    Er sah ganz ernst aus, als er den Kindern die Hände drückte, so, wie sie ihn gar nicht kannten. Dann umarmte er Peppino und legte einen Moment lang sein Gesicht an den struppigen Eselskopf. Ohne sich umzuschauen, ging er danach mit seinem Koffer in der einen und der Trompete in der anderen Hand in den Bahnhof. Er hätte nie gedacht, daß ihm der Abschied so schwerfallen würde. Als er schließlich im Zug war, stellte er sich ans Fenster und sah das Dorf vorübergleiten. Dann machte die Bahn einen Bogen, und dort, am Ende der Dorfstraße, in der Nähe des kleinen Wäldchens, stand Omas Haus: grau und groß und burgartig mit seinen Türmchen und Zinnen und vielen Fenstern. Plötzlich sah Jimmy, wie sich eins der Fenster öffnete und ein weißes Tuch aus ihm geschwenkt wurde, aus einem anderen Fenster ein zweites und ein drittes, das so groß war wie ein Laken, und ein viertes und ein fünftes und ein sechstes und ein siebentes, das ganz winzig war. Von weitem sah es nicht viel größer aus wie eine Briefmarke.

    Jimmy wußte, wer es schwenkte, niemand anders als der kleine Rolf, und er wußte auch, wer die anderen Tücher zu seinem Abschied wehen ließ: Oma und Brigitte und Peter, Jan und Frau Hubermeier und sogar Herr Krüger, obgleich er nie so ganz mit Jimmys langen Haaren einverstanden gewesen war. Jimmy war froh, daß sonst niemand im Abteil war, der merken konnte, daß er sich ein paar Tränen aus den Augen wischen mußte. Als er wieder klar sehen konnte, war das Haus verschwunden. Jimmy ließ sich in die Polster fallen. Es war doch gut, daß es das gab, daß man immer, wenn man in Not war, Kummer oder Sorgen hatte oder seine Freude mit jemandem teilen mußte, wenn man nichts zu essen oder keine Wohnung hatte oder sich auch nur einfach einmal erholen wollte, wußte, wohin man gehen konnte, wo man stets von Herzen willkommen war: in Omas Haus.
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