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Villa Oma

Villa Oma

Titel: Villa Oma
Autoren: Ilse Kleberger
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meist lustig und munter, weil Herr Dietrich, Karolines Vater, gern mit den beiden Mädchen scherzte. Heute aber waren alle schweigsam und verstimmt. Karolines Mutter versuchte, den Bann zu brechen, indem sie die beiden Mädchen nach der Schule und ihren Mann nach der neuen Brutmaschine fragte. Aber sie erhielt nur einsilbige Antworten. Karoline stieß Brigitte wiederholt in die Seite, und so entschloß sich Brigitte schließlich, das heiße Eisen anzufassen.
    „Herr Dietrich“, sagte sie mit gepreßter Stimme, „könnten Sie nicht ausnahmsweise die Agathe leben lassen und dafür eine andere Gans schlachten?“
    Jetzt legte Karolines Vater den Löffel, mit dem er gerade seine Suppe essen wollte, auf den Tisch. „Hat Karoline dir auch damit in den Ohren gelegen?“ fragte er ärgerlich. „Wenn sie sich in ihrem Dickkopf etwas ausdenkt, meint sie immer, sie müßte alles durchsetzen. Ich denke aber gar nicht daran, mich von meiner Tochter tyrannisieren zu lassen. Als Besitzer einer Hühnerfarm ziehe ich das Federvieh auf, damit es später geschlachtet und gegessen wird, und niemand ißt sonst lieber ein knuspriges Hühnchen oder eine leckere Gans als Karoline. Plötzlich meint sie, es wäre unrecht, wenn ich so was tue. Solche Ideen muß sie sich aus dem Kopf schlagen, wenn ihr Vater Hühnerzüchter ist. Die Gans wird geschlachtet!“ Und er fing an, seine Suppe zu essen.
    Nun legte Karoline ihren Löffel hin und sagte mit blitzenden Augen: „Dann esse ich von jetzt an keinen Happen mehr.“
    Resi, die gerade den Braten auf den Tisch stellte, fügte hinzu: „Und ich kündige.“
    Jetzt blitzten Herrn Dietrichs Augen genauso zornig wie die seiner Tochter. Sie sahen sich plötzlich sehr ähnlich. „Gut, Resi, dann gehen Sie eben“, sagte er trotz des ängstlichen Seufzers seiner Frau, denn Resi war eine vorzügliche Köchin. „Und du“, wandte sich Herr Dietrich an Karoline, „kannst ruhig ein bißchen abnehmen, das schadet dir gar nichts.“
    „Ich werde verhungern, und das habt ihr dann davon“, sprudelte Karoline hervor.
    Herr Dietrich lachte auf. „Das kriegst du nicht fertig, dafür ißt du viel zu gern.“
    Immerhin führte Karoline den Rest der Mahlzeit über ihren Vorsatz aus und saß mit zusammengepreßten Lippen da. Brigitte beschloß im stillen , sie später mit nach Hause zu nehmen und ihr von ihren Kartoffelpuffern etwas abzugeben. Nach dem Essen stand Herr Dietrich auf, ohne etwas zu sagen, und knallte die Tür hinter sich zu, als er den Raum verließ. Die Mädchen gingen in die Küche, um Resi zu suchen. Was sie dort vorfanden, war wirklich herzerweichend. Resi saß auf einer Bank und schnipselte Äpfel klein. Daneben hockte Agathe mit ihrem dicken, schneeweißen Gefieder und stahl Resi ab und zu eine Scheibe Apfel aus der Schüssel. Dabei sah sie das Mädchen so schelmisch an, als wenn sie sie necken wollte. Resi aber liefen die Tränen über die Wangen, wie vorher Karoline.
    „Ach, mein armes Tierlein“, jammerte sie, „jetzt geht’s dir an den Kragen.“
    Sie stand auf, um die Apfelscheiben in einen großen Topf zu schütten, der auf dem Herd brodelte.
    Die Gans hüpfte von der Bank und folgte ihr und schnatterte dabei leise vor sich hin. Es hörte sich an wie ein zärtlich beruhigendes Geschwätz, was die Resi noch mehr zum Schluchzen brachte, in das die beiden Mädchen einstimmten. Plötzlich aber hörte Brigitte auf zu weinen und sagte nur ein Wort: „Oma.“
    Bald darauf saßen Brigitte und Karoline in Omas Küche, löffelten einen Schokoladenpudding und erzählten. Oma sah nachdenklich und betrübt aus.
    „Das ist traurig“, sagte sie, „daß wir Menschen darauf angewiesen sind, Tiere zu töten, um uns zu ernähren. Wir, die wir das Fleisch beim Fleischer oder Geflügelhändler kaufen, denken sehr selten daran, oder vielleicht wollen wir auch nicht daran denken. Aber dein Vater hat recht, wenn er sagt, daß ihm nun mal nichts anderes übrigbleibt als Tiere zu schlachten. Er tut es ja, damit wir anderen etwas zu essen haben.“
    Karoline überlegte. „Das stimmt ja auch“, sagte sie schließlich, „aber manchmal ist es doch so, daß ein Tier beinah schon ein — ein — “, sie stockte.
    Oma vollendete ihren Satz: „...ein Freund geworden ist?“
    Karoline nickte.
    Oma erhob sich und zog ihren Mantel an. „Wartet hier“, sagte sie.
    Die beiden Mädchen versuchten sich die Zeit mit Käsekästchenspielen zu vertreiben. Aber sie konnten sich nicht konzentrieren.
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