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Villa Oma

Villa Oma

Titel: Villa Oma
Autoren: Ilse Kleberger
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und das Summen einer Fliege. Brigitte rechnete: Fünfzehn und zwanzig sind fünfundreißig und acht sind dreiundvierzig. Fertig! Sie sah sich um. Sie schien die erste zu sein, die die Klassenarbeit beendet hatte. Von den anderen sah sie nur gebückte Rücken. Ein paar Reihen vor ihr wanderte ein Schmuzettel von einer Hand zur anderen.
    Plötzlich fiel ihr Blick auf ihre Freundin Karoline, die neben ihr saß, und sie runzelte die Stirn. Karoline weinte. Sie rechnete nicht, spielte nur an einem ihrer roten Zöpfe, starrte in die Luft, und die Tränen liefen ihr über die runden Wangen.
    „Was ist los?“ flüsterte Brigitte. „Weißt du nicht weiter?“ Sie wunderte sich, denn Karoline und sie waren die besten Rechner in der Klasse.
    Karoline schüttelte unwillig den Kopf. „Ich hab bloß Schnupfen“, sagte sie und kramte nach ihrem Taschentuch.
    In diesem Augenblick rief der Lehrer: „Was habt ihr denn da hinten zu schwatzen? Wenn du fertig bist, Brigitte, dann gib dein Heft ab.“
    Als Brigitte nach vorn zum Lehrerpult ging, überlegte sie: Nein, es stimmte nicht, daß Karoline nur Schnupfen hatte. Brigitte hatte doch richtige Tränen auf ihren Wangen gesehen. Doch bis zum Schluß der Stunde konnte sie nichts Außergewöhnliches mehr an ihrer Freundin bemerken. Sie sah nicht besonders fröhlich aus, aber wer sieht schon bei einer Rechenarbeit fröhlich aus.
    Auf dem Heimweg bummelten sie durch das Dorf, und Karoline war vielleicht ein bißchen schweigsamer als sonst. Aber Brigitte wagte nicht zu fragen, was für ein Kummer die Freundin drückte. Denn sie kannte Karolines schnippische Art, wenn man etwas von ihr wissen wollte, was sie nicht erzählen mochte. Am Dorfteich hielten sie an, um die Enten mit den Resten ihres Frühstücksbrotes zu füttern. Schnatternd und flügelschlagend versuchte das Federvieh, sich die besten Bissen gegenseitig abzujagen. Plötzlich fing Karoline wieder an zu schluchzen. Die Tränen liefen ihr über das Gesicht, und sie versuchte es nicht mehr, sie zu verbergen. Ihre Unterlippe zitterte, und sie schnupfte ab und zu auf.
    „Was ist denn los?“ fragte Brigitte erschrocken. „Was hast du denn?“
    „Ach“, brachte Karoline unter Schluchzen hervor, „ach, sie wollen Agathe umbringen.“
    Brigitte lief ein Schauder den Rücken herunter. „Wer will sie umbringen?“ flüsterte sie.
    „Der Paul und mein Vater“, sagte Karoline zornig.
    Brigitte sah sie entsetzt an. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, daß Karolines Vater, der ein sanfter und freundlicher Mann war, jemanden umbringen wollte. Und auch den Knecht Paul hielt sie nicht für fähig, seine Agathe zu ermorden.
    „Aber warum?“
    Karoline wischte sich mit einem ihrer Zöpfe die Tränen aus dem Gesicht und sagte: „Weil sie sie zu Weihnachten braten wollen. Mein Vater sagt, daß er sie extra für Weihnachten gemästet hat und daß die Resi und ich zwei sentimentale Ziegen sind, daß er als Besitzer einer Hühnerfarm es sich aber nicht leisten kann, Federvieh aufzuziehen nur zu dem Zweck, daß es schließlich an Altersschwäche stirbt — aber Agathe ist doch nicht irgendein Federvieh!“
    Jetzt dämmerte es Brigitte, daß Karoline die ganze Zeit von der Gans sprach, die Resi, die Köchin auf der Hühnerfarm, gezähmt hatte. Kurz nachdem die Gans aus dem Ei geschlüpft war, war die Gänsemutter unter ein Auto gekommen. Die Köchin Resi hatte das hilflose, winzige Küken in ihre warme Küche genommen, wo es sich bald sehr wohl fühlte und gut heranwuchs. Als das Tier für die Küche zu groß wurde, mußte es wieder auf den Hof zu dem anderen Federvieh ziehen. Es fühlte sich aber dort nie ganz zugehörig, hielt sich immer etwas abseits und kam sofort angewackelt, wenn Resi erschien.
    „Warum heißt sie Agathe’?“ fragte Brigitte. „Weil sie Resis Schwester so ähnlich sieht, die heißt nämlich auch Agathe.
    „Kommst du mit zu uns zum Essen?“ fragte Karoline. „Vielleicht kannst du mal mit meinem Vater reden!“
    Es kam öfter vor, daß Brigitte nach der Schule auf der Hühnerfarm zu Mittag aß oder umgekehrt Karoline bei Pieselangs. Besonders, wenn es zu Hause etwas zu essen gab, was sie nicht mochten, pflegten sie das auszunutzen. Zwar gab es heute bei Pieselangs Kartoffelpuffer, aber Brigitte war eine treue Freundin und wollte versuchen, ob sie etwas für Agathe erreichen könnte. Sie hoffte auch, daß Mutter ihr zum Abend ein paar Puffer aufbacken würde.
    Sonst waren die Mahlzeiten auf der Hühnerfarm
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