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Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Titel: Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt
Autoren: János Kertész
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von
einem Parkplatz entfernt, treffe ich ein älteres Ehepaar.
    „Wohin des Weges?“ fragt der Mann.
    „Heute nur nach Schlüchtern.“
    „Aber mit diesem Gepäck wollen Sie
sicher weiter.“
    „Ja“, sage ich, und weil ich nicht so
sicher bin, ob ich je nach Santiago de Compostela komme, füge ich hinzu: „Ich
will bis zum Bodensee.“
    „Und woher kommen Sie?“
    „Aus Kassel.“
    „Ach so! Dann sind Sie ja erst am Anfang!“
Seit acht Tagen laufe ich... Ich bin heute fast ausschließlich auf Asphaltwegen
gelaufen, und das merke ich an meinen Füßen und Knien, die schmerzen. Die immer
gleichen harten Schritte auf dem Asphalt beanspruchen die Gelenke viel mehr als
das Laufen auf weichen Feldwegen oder auch auf unebenen Pfaden, auf denen die
Füße mal mit der linken, mal mit der rechten Fußseite auftreten und dadurch
vielseitiger belastet werden.
    Auch heute werde ich von einigen
Freundinnen und Freunden angerufen. Alle, mit denen ich spreche, finden meine
Unternehmung gut, manche beneiden mich sogar. Sie äußern die Hoffnung, daß es
mir gut geht und daß ich viel Freude am Wandern habe. Diese Hoffnung habe auch
ich noch nicht verloren.

Montag, am 24. Februar
Von Schlüchtern nach Jossa
    Grau in Grau. Es regnet. Vor meinem Fenster ist ein Schulhof. Die Kinder rennen und
schreien und merken vom Regen offensichtlich nichts. Ja, vielleicht ist das die
richtige Methode. Allerdings, im meinem Alter und mit dem schweren Rucksack...
    Ab Herolz folge ich dem Lauf des
Ahlersbaches aufwärts in einem besonders schönen Tal. Im unteren breiteren
Talabschnitt liegende Wiesen werden, je weiter man nach oben kommt, von einem
herrlichen Buchenwald mit altem Baumbestand abgelöst. Der steile Waldweg folgt
dem Bachlauf fast bis zur Quelle. Ein einsamer, anstrengender, nach den
vorhandenen Spuren geurteilt, selten benutzter Weg. Ich liebe solche Wege.
    Nach etwa einer Stunde Steigung öffnet
sich die Landschaft, und ich befinde mich an einer Hochebene. Nach dem tiefen
Wald ist es überraschend, hier oben Ackerfelder vorzufinden. Nach einigen
Straßenwindungen bietet sich eine weite wunderbare Aussicht nach Osten bis zur
Hohen Rhön. Tief im Tal liegen mehrere Dörfer harmonisch eingeschmiegt in ihrer
Umgebung, wie dazu gehörend. Ich nehme dieses großartige Bild in mich auf, und
trotz des hier oben heulenden steifen Windes fühle ich mich vielleicht das
erstenmal, seit ich in Kassel losgelaufen bin, restlos wohl. Endlich bin ich
fähig, es zu genießen, hier im diesem friedlichen, leisen, schönen Land, und
auch ganz nah bei mir zu sein.
    Von Neuengronau folge ich den Bachlauf.
Entlang der linken Talseite fuhren mehrere parallele Feldwege, davon einer nach
Altgronau. Ich erwische den falschen. Der führt mich hinunter zu den Bachwiesen
bis zu einer Stelle, wo die Wiese überflutet ist. Links ein Weidezaun, rechts
der Bach, ich muß zurück und bin darüber etwas verärgert. Es dauert eine Weile,
bis mir auffällt, daß viele gefällte und auf dem Boden liegende Bäume nicht mit
der Säge, sondern wie mit einem kleinen Beil gefällt sind. Überall liegen große
Mengen von Spänen herum. Und warum hat man die Bäume nicht abgeholt, sondern
hier liegen gelassen?
    Plötzlich geht mir ein Licht auf.
Biber! Es sind Biber, die Bäume so fällen! Jetzt sehe ich auch, warum die Wiese
überflutet ist: Der Bach ist mit Ästen und Zweigen, in denen sich das
Geschwämme gefangen hat, zu einem Teich gestaut. Jetzt entdecke ich am Rande
dieses Teiches auch einen Hügel aus Zweigwerk, das Biberhaus. Ich verhalte mich
ruhig und hoffe, einen der Baumeister zu sehen, aber sie zeigen sich nicht.
Trotzdem bin ich über mein Verirren, das mich hierher geführt hat, hoch
erfreut.
    Jetzt regnet es wieder, und als ich in
Altgronau ankomme, bin ich naß und müde, aber sonst guter Dinge. Ich frage
einen Herrn, der eben in sein Auto steigt, wo ich mein Gasthaus finde? Die
Antwort ist wenig erfreulich: es ist nicht in Altgronau, sondern in dem
nächsten Ortsteil, in Jossa.
    Jetzt gießt es richtig. So ein schöner
Tag kann aber nicht böse enden. Der nette Mann fragt mich, ob er mich schnell
hinfahren sollte? Ich sage „ja“, und bedanke mich sehr für seine Hilfe. Der
heilige Jakobus wird es mir schon verzeihen, daß ich dieses letzte Stück nicht
zu Fuß bewältigt habe.
     
     

Dienstag, am 25. Februar
Von Jossa nach Gemünden am Main
    Heute wird mir von
dem Wetterbericht Angst und Bange: stürmischer Südwestwind, Orkanböen,
Dauerregen.
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