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Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Titel: Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt
Autoren: János Kertész
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richtige
Reihenfolge. Allerdings sind die Unterschiede oft wenig gravierend. Ob Fuldatal
oder Maintal, hier wachsen dieselben Bäume, die Landschaft ist auf weite
Strecken ähnlich. Auch manche eigenschaftslosen Feierabenddörfer mit ihren
Glasbaustein- und Coniferaenkultur könnten genau so gut in Norddeutschland wie
in Süddeutschland liegen. Nur die Kirchen, die hier meistens barock sind, sie
sind bei uns anders, meistens gotisch.
    Als ich die Stadt nach Süden verlasse,
scheint endlich die Sonne. Die Uferwege sind auch hier überschwemmt, ich muß
die stark befahrene Landstraße benutzen.
    Die nächste Ortschaft, Lengfurt, liegt
kaum eine Stunde Fußmarsch weiter. Trotz dieser geringen Entfernung ist der
Unterschied zu den bisherigen Dörfern nicht zu übersehen. Hier gibt es viel weniger
Fachwerk, dafür aber viele massive Barockbauten. Die Häuser sind mit
Heiligenfiguren geschmückt. Wegekreuze, Mariensäule und eine schöne barocke
Jakobskirche machen mir deutlich, daß ich mich auf dem richtigen Weg befinde.
Ich nehme die Gelegenheit wahr, in der Kirche eine kleine Ruhe- und
Besinnungspause einzulegen.
    Nach dem Ortsnamen Lengfurt zu
urteilen, muß hier früher die Möglichkeit bestanden haben, über den Fluß zu
waten. Allerdings nicht bei solchem Hochwasser. Jetzt führt eine Brücke zu der
anderen Flußseite. Es folgt ein kurzes steiles Stück Landstraße bis Kloster
Triefenstein, eine malerische Anlage mit einer zweitürmigen Kirche.
    In Rettersheim ist das Gasthaus
geöffnet. Nach vielen geschlossenen Lokalen ist dies eine angenehme Überraschung.
Die Gaststube ist gut besucht, Wald- und Bauarbeiter verbringen hier ihre
Mittagspause. Die Atmosphäre ist familiär. Die Wirtin kocht, der Wirt bedient
die Gäste, und an dem Ecktisch macht die kleine Tochter ihre Hausaufgaben. Das
Essen ist deftig. Da ich noch weiterlaufen muß, nehme ich nur eine
Leberknödelsuppe, nicht aus der Dose, selbstgemacht. Der Geschmack erinnert
mich an winterliche Schlachtefeste meiner Kindheit.
    So zu neuen Kräften gekommen, setze ich
meinen Weg fort. Der Feldweg läuft einige hundert Meter neben der Autobahn. Die
Autos sind in stop and go kaum schneller als ich zu Fuß. Einige Autofahrer
winken, hupen oder rufen, als sie mich sehen. Ich will dies als eine
freundliche Geste verstehen.
    In dem Wald von Eichberg, wo jetzt eher
Fichten und Buchen als Eichen wachsen, treffe ich auf den ersten echten
Frühlingsboten: Büsche mit kleinen, gelben Lämmerschwänzchen leuchten in dem
hellen Sonnenlicht. Als kaum fünf Minuten später auch noch ein gelber
Zitronenfalter vor mir herflattert, freue ich mich darüber, daß das schlimmste
Winterwetter überstanden ist.
    Jenseits des Flusses zeigt sich schon
die malerische Stadt Wertheim. Die wärmende Nachmittagssonne hat nicht nur
meine Stimmung aufgehellt, sondern auch viele Menschen auf die Straße gelockt.
Die Stadt mit den schmalen krummen Gassen, den vielen Fachwerkbauten, Brunnen,
Kirchen und Geschäften macht einen sehr lebendigen Eindruck.
    Ich rufe in der Jugendherberge an und
frage, ob ich ein Zimmer bekommen könnte. Als Antwort wird mir mitgeteilt, daß
aus Kostengründen nur ein Zehnbettzimmer geheizt wird, wo ich zwar nach aller
Wahrscheinlichkeit allein schlafen könne, weil bis jetzt noch kein anderer Gast
sich gemeldet hat, aber eine Garantie dafür kann man mir nicht geben. Schade.
Mit fremden Menschen in einem Zimmer habe ich letztmals vor vierzig Jahren als
Jugendlicher geschlafen, und in Moment kann und will ich mich nicht darauf
einlassen, so einen intimen Raum wie einen Schlafraum mit anderen zu teilen. So
nehme ein Hotelzimmer.
    Da mein Anorak, den ich seit Kassel
jeden Tag getragen habe, anfängt, penetrant zu duften, wasche ich ihn in der
Duschkabine. Die Methode ist einfach: Das gute Stück wird beim Duschen mit den
Füßen geknetet. Diesmal wird das Wasser so schwarz, als wenn ich einen Blumenkasten
ausgespült hätte.
     
     

Samstag, am 1. März
Von Wertheim nach Dittigheim
    Von Wertheim geht es im Taubertal weiter. Der Fluß macht vor der Mündung in
Wertheim, wo er sich mit dem Main vereint, etliche Kurven. Das Tal ist eng, die
Hänge sind bewaldet. Auch hier benutze ich den Radweg, der im Tal alle
Windungen des Flusses mitmacht. Gestern hätte ich hier noch nicht laufen
können, da waren diese Wege noch überflutet.
    Hinter der Brücke von Gamburg steht der
Fußballplatz unter Wasser. Am Ufer dieses Sees sitzen zwei Jungen mit einem
Sechserpack Bier und
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