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Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Titel: Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt
Autoren: János Kertész
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lassen es aus einem tragbaren Musikkoffer krachen, was das
Ding hergibt. Eine große Auswahl an Samstagsvergnügungen scheint es hier nicht
zu geben.
    Eine kurze aber steile Steigung führt
mich wieder aus dem engen Tal heraus. Vorbei am Schloß über Ackerfelder
erreiche ich bald einen schönen Hochwald. Kurz nach dem Waldrand ist eine
Gedenksäule aus rotem Sandstein zu sehen. Auf dem Säulenschaft ist ein
scheuendes Pferd abgebildet. Auf dem Steinsockel darunter ist zu lesen:
     
    „ GOTT BESCHÜTZT OFT
    IN GEFAHR, DENN ER
    LIEBET, WUNDERBAR.
    ZUR
    ERINNERUNG AN DEN TAG
    AM 12 DN AUGUST 1823 “
     
    Kaum zweihundert Meter weiter steht
eine Kapelle, die eine Fürstin in selbiger Zeit erbauen ließ, weil ihre Tochter
nach einer schweren Krankheit auf wunderbare Weise wieder gesund geworden war.
Wenn ich die Mittel und die Macht dazu hätte, würde auch ich eine Kapelle, was
heißt Kapelle, eine Kathedrale bauen lassen aus Dankbarkeit für die Genesung
meiner geliebten Frau.
    Mein Feldweg kreuzt eine Landstraße,
dort begegne ich drei Kindern, die mit dem Fahrrad unterwegs sind. Wir grüßen
uns kurz, wechseln einige Worte über das schöne Wetter, dann radeln sie weiter.
    Ich wandere in einem Kiefernwald, wo
außergewöhnlich große starkstämmige Bäume mein Herz erfreuen. Es ist schon
erstaunlich, wie der Sonnenschein nicht nur den Wald, sondern vielmehr auch
mein Gemüt erhellt. Sogar mein schwerer Rucksack kommt mir heute viel leichter
vor.
    Das letzte Stück des Weges geht steil hinunter
nach Tauberbischofsheim, eine asphaltierte Wohnstraße, die meinen Knien zu
schaffen macht. Unten an einer Kreuzung treffe ich wieder die drei Kinder, die
ich unterwegs gesehen habe. Sie sind überrascht, daß auch ich den langen Weg,
und dazu noch zu Fuß, so schnell geschafft habe, und jetzt wollen sie ganz
genau wissen, woher ich komme und wohin ich gehen will. Sie sind ganz
begeistert, und darüber bin ich stolz und erfreut.
    Eigentlich will ich die Stadt angucken,
aber ich bin zu müde. Außerdem muß ich noch bis Dittigheim weiterlaufen, wo ich
mir ein Zimmer bestellt habe. So gehe ich am Stadtrand vorbei, ohne sagen zu
können, daß ich von der Stadt etwas gesehen hätte. Dies ist ein allgemeines
Problem einer solchen Reise. Bevor ich losmarschiert bin, hegte ich die
Vorstellung, daß, wenn ich diese langsame Art der Fortbewegung wählte, ich mehr
Zeit und Muße für die Sehenswürdigkeiten am Wegrand haben würde. Dem ist nicht
so. Ich brauche für so eine lange Strecke wie die heutige, mit den
erforderlichen Pausen etwa zehn Stunden. Wenn ich dann am Abend an meinem
Tagesziel ankomme, bin ich so müde, daß ich keinen Schritt mehr machen möchte.
     
     

Sonntag, am 2. März
V on Dittigheim nach Bad Mergentheim
    Gegenüber dem Gasthaus
„Zum Grünen Baum“, in dem ich schlief, steht eine Kirche, die ich am Abend kaum
beachtet habe. Dafür hat sie sich in der Nacht gerächt und mit einem
aufwendigen Glockenschlagwerk mich in jeder Viertelstunde auf sich aufmerksam
gemacht. Die Viertelstunden werden mit drei Glockenschlägen angeläutet: e, c,
d. In den ganzen Stunden kommen noch die Stundenschläge etwas tiefer dazu mit
einem A. Also z.B. nachts um vier Uhr kann man folgendes musikalisches Kleinod
genießen: ecd ecd ecd ecd AAAA.
    Ich trete aus dem Gasthaus hinaus auf
die Straße und schaue vorwurfsvoll die besagte Kirche an. Sie ist für dieses
kleine Dorf überraschend aufwendig, der reinste Barock. Das Tor ist geöffnet,
ich gucke mal, wie es innen aussieht.
    Ich bin völlig hingerissen! Das ist
doch das Alleredelste, was Barock bieten kann! Die ausgewogenen Proportionen,
die festlichen, aber nicht zu überhäuften dekorativen Stuckelemente, alles wie
von Meisterhand geschaffen! Nur die unpassenden Leuchten aus den fünfziger
Jahren müßten schleunigst entfernt werden.
    Ich verlasse die Kirche, und jetzt erst
sehe ich das Schild draußen neben dem Eingang: „St.-Vitus-Kirche, erbaut von Balthasar Neumann...“ Und ich
bin in meiner Ahnungslosigkeit fast vorbei gelaufen!
    Bücher sind bekanntlich schwer und ich
muß alles auf dem Rücken schleppen. So überlege ich dreimal, bevor ich ein
Reisebuch mitnehme. Den Dom in Fulda oder die Basilika in Weingarten kann man
nicht übersehen, aber so eine wunderschöne Kirche, wie diese in Dittigheim, muß
ich mangels Literatur selbst entdecken.
    Das Wetter ist, wie es am Sonntag immer
sein sollte: sonnig, und angenehm warm. Ein guter Tag kündigt sich an. Auch der
Weg
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