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Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Titel: Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt
Autoren: János Kertész
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angesprochen. Der erzählte, daß er in Not geraten
sei. Er ist nach Santiago gepilgert und hat dort „in dem Kloster der
Kathedrale“ übernachtet. Zum Abendessen gab es dort Fisch, der offensichtlich verdorben
war! „Kein Wunder bei diesen hygienischen Verhältnissen!“ Er kam mit
Fischvergiftung in ein Krankenhaus, aber in Spanien darf man höchstens eine
Woche im Krankenhaus bleiben. So wurde er entlassen, obwohl er noch gar nicht
laufen konnte. „Sowas wäre bei uns in Deutschland gar nicht erlaubt!“
    Jedenfalls, er hat gerade noch soviel
Geld gehabt, um mit dem Bus hierher zu fahren. (Gibt es hier überhaupt einen
Bus?) Drei Tage lang soll er hier in der Herberge krank, schwach und ohne Geld gelegen
haben. Gestern hat die Betreuerin der Herberge mit der Kathedrale in Santiago
telefoniert und um Erlaubnis gebeten, ihn länger als drei Tage pflegen zu
dürfen, aber es wurde ihr nicht erlaubt. Er muß also die Herberge heute
verlassen. „Ein Skandal ist das!“
    Sie erzählen weiter: „Ein Glück im
Unglück: Er arbeitet im Vatikan! Wir haben ihm Geld gegeben, weil er nicht mal
Geld zum Telefonieren hatte. Er hat dann von dieser Telefonzelle hier den
Vatikan angerufen! Können Sie sich das vorstellen? So wie ich zu Hause anrufe,
so ruft er den Vatikan an! Sie haben ihm gesagt, er solle nach Samos zum
Kloster kommen, sie erledigten alles: Wenn er kommt, sei schon alles
vorbereitet. Aber wie soll der arme Mensch ohne Geld nach Samos kommen? An
solche Kleinigkeiten denken sie dort nicht! So haben wir uns seiner angenommen
und die Männer haben ihn nach Samos gefahren. Sie müssen bald zurück sein.“
    Als die Männer ankommen, machen sie
einen verlegenen Eindruck. Sie berichten, daß im Kloster von Samos kein Mensch
von einem Anruf aus dem Vatikan wußte. Sie können sich des Verdachtes nicht
erwehren, daß das mit dem Vatikan vielleicht gar nicht stimmt. „Meinst du? Aber
er hat doch so einen ehrlichen Eindruck gemacht! Und krank war er tatsächlich!
Oder vielleicht nicht mal das?“
    Sie laden das Gepäck in den Wagen: Sie
wollen heute abend in Santiago sein. Zum Abschied fragen sie mich, ob ich mich
mit der Wegmarkierung auskenne. „Dann ist es ja gut! Man muß nämlich höllisch
aufpassen!“
    In einem Privathaus neben der Herberge
kann man ein Abendbrot bekommen. Das einfache aber schmackhafte Essen wird im
Wohnzimmer aufgetischt. Während ich esse, läuft der Fernseher. So erfahre ich,
daß in Palencia, also gar nicht so weit von hier, ein Unwetter Straßen
überflutet und viele Fahrzeuge zerstört hat. Hier soll es in den nächsten Tagen
so bleiben, wie es ist: bewölkt und kühl, aber trocken.
     
     

Donnerstag, am 17. Juli
Von Eirexe nach Palas de Rei
    Der Morgenhimmel ist bedrohlich schwarz. Schwere Wolken rasen im Tiefflug über
meinen Kopf von Ost nach West. Eigentlich ist das die verkehrte Richtung: Auch
hier kommt das übliche Wetter vom Westen.
    Die Dörfer, die eng beieinander liegen,
sind zum Verwechseln ähnlich. Ein neues Stilelement bilden die immer öfter
anzutreffenden alten Maisspeicher, die hórreos. Die Fußscheiben, Dachplatten und Giebelwände der
langgestreckten hüttenartigen Bauten sind aus Granit. Die Seitenwände bestehen
in der Regel aus Holzlatten, die die Luft in die Speicher reinlassen. Die Füße
und die Giebelwände sind mit Barockformen verziert, die den Speichern ein
feierliches, kapellenähnliches Aussehen geben. Sie passen gar nicht zu den
anderen bäuerlichen Bauten, die klein und ärmlich sind. Viele der Höfe und
Häuser sind nicht mehr bewirtschaftet, einige sogar verlassen.
    Ich passiere einen alten Friedhof mit
einer einfachen Friedhofskapelle, die ich zeichnen möchte. Einfach ist das
nicht: Der Wind will mir das Heft aus der Hand reißen.
    Kurz vor meinem Tagesziel sehe ich, an
einer Mauer gelehnt, einen hölzernen Wegweiser. Der in spanischer und
französischer Sprache verfaßte Text spricht mir Mut zu:
     
    „NUR MUT! SIE
SIND BALD DA !“
     
    Bis Santiago de Compostela sind es noch
siebzig Kilometern.
    Nach einer halben Stunde erreiche ich
Palas de Rei. Die Stadt hält nicht, was der schöne Name verspricht. Es ist eine
Kleinstadt mit viertausend Einwohnern aber ohne irgendwelche Besonderheiten
oder Sehenswürdigkeit. Vom „Königspalast“ kein Spur.
    Ich setze mich in eine verschlafen
aussehende Bar und versuche, etwas zu schreiben. Kaum, daß ich anfange, kommen
vier Gäste in das Lokal, stellen sich an die Theke und trinken ihren Rotwein.
Dabei
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