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Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Titel: Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt
Autoren: János Kertész
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das
Wasser kam, wurde auf dem angrenzenden Hügel ein neues Portomarín aufgebaut. Im
Zentrum der neuen Gemeinde erhebt sich die am Flußufer demontierte und hier
oben Stein für Stein wieder zusammengesetzte alte romanische Wehrkirche San
Nicolás. Der einschiffige, mit Zinnen und Eckbasteien bewehrte stilreine Bau
hat eine runde Apsis, schöne Portale und eine große Rosette.
    Die beidseitig mit Laubengängen
versehene Hauptstraße erweckt einen altehrwürdigen Eindruck. Kaum zu glauben,
daß die zweistöckigen Häuser erst vor fünfünddreißig Jahren erbaut wurden.
    Dem Nahkampf um ein Bett in der
Herberge bestehe ich routiniert und gekonnt. Danach besuche ich eine Bar, wo
ich die Direktübertragung der heutigen Etappe der Tour de France anschaue. Es
ist eine schwere Bergetappe nach Andorra. Jan Ulrich holt sich den Tagessieg
und übernimmt mit zweieinhalb Minuten Vorsprung das Gelbe Trikot.
    Mittwoch, am 16. Juli Von Portomarín nach Eirexe
    Wenn ich gemeint hatte, mitden Bergen um O Cebreiro die letzten Hindernisse des Weges
hinter mich gebracht zu haben, habe ich mich geirrt. Die hiesigen Berge sind
zwar nicht mehr so hoch, aber es geht weiterhin hoch und runter. Die Landschaft
ist auffällig grün und lieblich, Wälder, Wiesen und viel Buschwerk bieten mir
den angenehmen Rahmen zum laufen. Den Weg zu suchen, das brauche ich nicht, ich
muß mich nur in die Reihe einfädeln. Auf den fünfhundert Metern, die ich
übersehen kann, zähle ich etwa vierzig Pilger. Es ist wie eine Prozession.
    Werner ruft mich an: Er ist in
Barcelona gelandet. In Barcelona??? Was macht er denn in Barcelona?? Er sagt,
er habe eine billige Fahrgelegenheit nach Barcelona gefunden. Leider ist die
Zugverbindung von Barcelona bis hierher sehr schlecht: Vor morgen Abend schafft
er es nicht, in Palas de Rei zu sein.
    Das auch noch! Bis Palas habe ich
gerade mal zwanzig Kilometer zu laufen. In zwei Tagen! Ohne diese Katastrophe
mit Rita hätte ich mich, kurz vor dem Ziel, nie so bremsen und aufhalten
lassen! Jetzt ist es eh zu spät, mich darüber zu beklagen! Auf der kurzen
Strecke bis Palas de Rei gibt es in den Dörfern eine Reihe von Herbergen;
vielleicht ist dort der Andrang der Pilger erträglicher als in den größeren
Orten. Eirexe, ein nur wenige Häuser zählendes Dorf, scheint die richtige Wahl
zu sein. Ein kleines aber feines Refugio anderthalb Stunden vor Palas de Rei
ist genau das, was ich brauche. Ich verabschiede mich von Anna, Sandy, Karen
und Jaap, die weiterlaufen. Wieder ein Abschied, jetzt allerdings nicht für
immer: Wir wollen uns nächste Woche in Santiago treffen.
    Vor dem noch verschlossenen Eingang der
Herberge sind ein Dutzend Reisekoffer und Taschen aufgetürmt. Sie gehören zu
den zwei deutschen Lehrerinnen, die daneben auf der Bank Platz genommen haben.
Sie fragen mich, ob ich auch Pilger sei, und bevor ich antworten kann, erfahre ich, daß ich es mit wahren
Expertinnen des Pilgerwesens zu tun habe: Sie sind 1993, im Heiligen Jahr, als
der Jakobstag auf einen Sonntag fiel, mit dem Fahrrad von Pamplona nach
Santiago gefahren. In einem Heiligen Jahr ist alles viel besser, schöner,
feierlicher als zu anderen Zeiten. Eigentlich ist nur der ein richtiger Pilger,
der in einem Heiligen Jahr nach Santiago pilgert. Wie sie damals. Damals waren
viel mehr Menschen unterwegs als heuer. Überall sind Zeltlager und Sanitär-Container
aufgestellt gewesen.
    „Aber ich muß sagen, es war alles recht
sauber! Das ist nämlich in Spanien etwas Besonderes! Haben Sie schon mal in
einer Bar auf den Boden geschaut? Die schmeißen ja alles, aber auch alles
herunter! Mein Gott, was da alles herumliegt! Ein Wunder, daß hier nicht viel
öfter die Cholera-Epidemie ausbricht! Obwohl: Man liest es fast in jedem
Sommer!“
    Jetzt sind sie mit Auto unterwegs. „Wir
sind nicht mehr die Jüngsten!“ Ich schätze sie auf Fünfzig.
    „Damals war das Wetter viel besser als
jetzt. Vielleicht ist das der Grund, warum uns damals alles viel schöner
vorkam, als es in Wahrheit ist. Zum Beispiel León: Die Stadt ist doch häßlich!
Ja, nun, die Kathedrale ist schon schön, aber erstens ist die in Burgos viel
schöner, und zweitens, was hat die Kathedrale mit der Stadt zu tun?“
    Sie warten hier auf ihre Männer, die
mit dem Auto weggefahren sind. Das ist eine verrückte Geschichte, das muß ich
unbedingt anhören! „Ja, warum denn nicht“, denke ich, „ich habe ja Zeit.“ Also:
    Sie wurden heute früh hier von einem
deutsch sprechenden Spanier
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