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Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Titel: Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt
Autoren: János Kertész
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Der „Goldene Globus“ und das
Preisgeld waren ihm sicher. Da hat er sich umgedreht und ist zu den glücklichen
Inseln des Stillen Ozeans zurückgesegelt. Wo liegen meine paradiesischen
Inseln, wohin ich zurücklaufen könnte? Ich glaube nicht, daß ich sie finden
würde. Übrigens, Moitessier hat sie auch nicht gefunden.
    Ich muß weiterlaufen! Das ist die
letzte Versuchung, die letzte Hürde! Nur noch hundertzehn Kilometer! Also
weiter!
    Plötzlich merke ich, wie schön doch die
Landschaft um mich ist! Der Weg führt an einem Bach entlang, dann steigt er in
einem Eichenwald hoch. Auch hier wurde früher das Laub als Viehfutter benutzt,
die dicken Stämme tragen lauter dünne, rutenartige Zweige.
    Die Besiedlung des hügeligen grünen
Landes ist eigenartig: Die Dörfer sind klein, aber sehr eng beieinander. Auf
jede ein, zwei Kilometer folgt eine kleine Ortschaft. Sie sind durch uralte
steinige Hohlwege miteinander verbunden. Manchmal benutzt der Weg ein Bachbett.
Große Quadersteine ermöglichen es, auf solchen Bachwegen zu laufen, ohne dabei
nasse Füße zu bekommen.
    Man könnte auf diesen Wegen auch Wäsche
waschen, Papierschiffchen fahren lassen, vielleicht sogar angeln, nur eines
kann man hier mit Sicherheit nicht: Fahrrad fahren. Gerade das tun aber eine
Reihe von bunt gekleideten Mountainbikern, die, mit Bus hierher gekarrt, mal
hier, mal dort ohne Gepäck eine kurze Strecke Fahrrad fahren, oder wie hier,
ihr Fahrrad schieben und tragen. Auch sie sind Pilger, die die Herbergen
füllen. Auch die Pilgermuschel tragen sie alle. Ob sie laufen oder radfahren,
ich nenne sie „Rosinenpilger“, weil sie mal hier, mal dort die Rosinenstücke
des Pilgerweges heraus picken; den Rest lassen sie links liegen.
    Seit Cebreiro ist der Pilgerweg mit
Kilometersteinen versehen, die nach jeden 500 Metern die Restentfernung bis
Santiago anzeigen. In Sarria beispielsweise stand der Stein mit der Schrift
„K.113“.
    Es ist ein besonderes Erlebnis, nach
Morgade den Stein „K.100“ zu passieren. Nur noch hundert Kilometer! Es kommt
mir vor, als ob ich bis Santiago nur noch eine halbe Stunde zu gehen hätte.
Hundert Kilometer! Was sind schon hundert Kilometer?
    Am Dorfausgang von Rozas steht ein Bus
mit deutschem Kennzeichen. Offensichtlich wird eine kurze Erholungspause
gemacht: Die Reisenden haben sich unter schattigen Bäumen auf einer
Begrenzungsmauer niedergelassen. Als ich an der langen Reihe vorbei marschiere,
ruft ein Mann, offensichtlich die Stimmungskanone der Gruppe, auf meine
Wanderstöcke zielend:
    „Der Skiläufer hat sich aber total
verirrt! Hier kann er aber lange nach Schnee suchen!“
    Der Witz wird für gut befunden: Sie
fallen vor Lachen fast von der Mauer.
    Ich bin nicht zum Scherzen aufgelegt:
    „Es ist noch immer besser, in Spanien
nach Schnee zu suchen, als faul herumzusitzen und über den Pilger dumme
Bemerkungen zu machen!“
    Da sind sie aber beleidigt und
antworten im Chor:
    „Wir sind aber auch Pilger! Und laufen
tun wir auch!“
    „Aber klar doch!“ rufe ich und gehe
weiter.
    Später bereue ich es, daß ich auf die
dumme Bemerkung überhaupt reagiert habe. Was soll das? Jeder soll nach seiner
Art selig werden. Ich laufe, sie fahren mit dem Bus. Na und?
    Als ich am frühen Nachmittag in
Portomarín ankomme, ist die Herberge, die erst zwei Stunden später geöffnet
wird, schon von Hunderten von Pilgern belagert. Ich stelle meinen Rucksack
neben der Eingangstür ab und suche auf der Hauptstraße des Ortes eine Bar.
    In dem Dorf ist es wie auf dem
Oktoberfest. Dichte Massen von Touristen und Pilgern bevölkern den kleinen Ort,
der diesem Ansturm kaum gewachsen ist. Vor der Kirche parken etwa ein Dutzend
Reisebusse. Die Passagiere, holländische und französische Radfahrer, spanische
Schulkinder, deutsche Wandergruppen, sind meistens organisierte Pilgerreisende.
Auch der deutsche Bus mit den Mauerhockern aus Rozas ist angekommen.
    Portomarín ist eine eigenartige
Siedlung. Am Flußübergang das Miño von den Römern erbaut, wurde es im
Mittelalter eine wichtige Pilgerstation auf dem Weg nach Santiago de
Compostela. Ein Pilgerhospiz der Johanniter 1126 ist schriftlich belegt. An dem
gegenüber liegenden Ufer haben die Templer und die Jakobsritter mehrere
Herbergen und Hospitale betrieben. Laffi beschreibt 1673 Portomarín als einen
mit Weinbergen umgebenen schönen und reichen Ort.
    1956 wurde der Fluß Miño zu einem See
aufgestaut. Die alte Stadt am Fluß verschwand in den Fluten. Doch bevor
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