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Vier minus drei

Titel: Vier minus drei
Autoren: Barbara Pachl-Eberhart
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ich die kleine Annika, die sich ständig vor allem fürchten musste. Du warst der tapfere Ritter Eisenbitter und ich war König, Drache, Angreifer, Prinzessin, ja sogar der Sturm. Deine Fantasie führte dich als Dinosaurierkind durchs Weltall und ließ dich auf Gespenster treffen. Auf
Autos. Elefanten. Bob den Baumeister. Allesamt natürlich von mir verkörpert.
    Mitunter lief ich erschöpft und flehend aus dem Kinderzimmer.
    »Heli! Bitte, geh du jetzt rein. Ich kann nicht mehr!«
    Heute, da ich dies schreibe, sind es die Spiele mit dir, die mir am lebhaftesten in Erinnerung sind. Mit dir zu spielen hieß, dich in deinem Wesen, in deiner Kraft zu spüren. Ich kann mich an jedes unserer Spiele erinnern, könnte jede Szene nachspielen.
    Nur macht es einfach keinen Spaß mehr, ohne dich.
     
    Vor mir liegt eine Urkunde, ausgestellt im Kindergarten. Fabriziert von allen Beteiligten als Versuch, einem kleinen Menschen seine Unverwechselbarkeit zu attestieren. Ihm mitzuteilen, was ihn ausmacht. Gerade ihn.
    Thimo kann gut …
    Experimentieren und Müll sammeln. Ohne Matschhose in den Wald gehen. Weintrauben essen und Dinge verstecken. (Bekundeten seine Freunde).
    Dinge verstecken. Forschen und Abenteuer erleben. Gaudi machen und lachen. (Fanden seine Betreuerinnen).
    Spiele ausdenken. Fragen stellen. Sich versöhnen. (Meinten wir, seine Eltern).
    Der Versuch, hinter all diesen Geschichten und Beschreibungen das zu entdecken, was dich tatsächlich ausmacht,
gleicht dem Betrachten eines jener 3-D-Bilder, die vor einigen Jahren in Mode waren. Zu Beginn ist man abgelenkt von den vielen Kleinigkeiten, und erst nach einiger Zeit, erst wenn man den richtigen Abstand gefunden hat, sieht man, dann allerdings gestochen scharf und unverwechselbar, das eigentliche Bild.
    Vielleicht hat ja erst der Abstand, der durch deinen Tod zwischen uns getreten ist, es mir möglich gemacht, dich zu erkennen. Deine Wesenheit. Deine Seele. Ich bin fest davon überzeugt, dass sie immer noch existiert. Ja, ich glaube sogar, dass sie mitunter ganz in meiner Nähe ist.
    An manchen Tagen fühle ich mich so, als wäre ich von deinem Wesen beseelt. Als wärst du in meinem Herzen zu Besuch. Das sind schöne Tage. Ich sehe die Welt dann so, wie du sie gesehen haben magst. Hebe Glasscherben auf und betrachte sie lange, staune über Blätter im Wind, mache verrückte Scherze und lache selbst am meisten darüber.
    Wenn ich an anderen Tagen vor Sehnsucht zu zerplatzen glaube und dringend Trost brauche, dann spüre ich oft, wie sich irgendetwas zart um mich legt und mich warm umfängt. Ich denke dann, auch das bist du.
     
    Deine Seele.
    Sie werde ich erkennen, wenn ich selbst eines Tages meinen Körper verlasse und zu dir komme. Zu euch. Wenn ich durch das Tor trete, an dem ihr aufgeregt und voller Freude auf mich warten werdet.
    Genau so, wie ihr eines Januartages am Flughafen auf mich gewartet hattet, als ich nach drei allzu langen Wochen von einer Indonesienreise heimkehrte. Am Weg vom
Gepäckband zum Ausgang machte ich mir fast in die Hosen vor lauter Freude. Ich musste rennen vor Glück.
    Wenn ich an das Sterben denke, so möchte ich eines Tages in der gleichen unbändigen Freude von dieser Erde scheiden und rennen, wissend, dass ihr dort hinter dem Tor steht, um mich in Empfang zu nehmen.

    »Mamaaaa! Nesien! Lieger! Heissss. Mama, Nesien!«
    Fini. An jenem Tag auf dem Flughafen warst du gerade anderthalb Jahre alt. Die Worte, die begeistert aus dir heraussprudelten, erzählten in deiner Sprache die Geschichte, die du wieder und wieder von Heli gehört hattest.
    »Mama ist in Indonesien. Dort ist es heiß. Sie kommt mit dem Flieger. Bald ist sie wieder da.«
    Ich hatte drei wunderschöne Wochen, dort in Indonesien. Eine Freundin aus Studientagen hatte mich überraschend in ihre Wahlheimat eingeladen, Flug und Quartier inklusive. Heli war einverstanden, ermutigte mich sogar dazu, trotz meiner Zweifel. Er stellte nur eine Bedingung:
    »Du darfst auf keinen Fall ein schlechtes Gewissen haben.«
    Heli. Du lieber, geliebter Mann!
    Es war gar nicht leicht für mich, mit gutem Gewissen zu fahren und mir keine Sorgen zu machen. Was mir dort im sommerlichen Paradies am meisten Kopfzerbrechen bereitete,
war die Vorstellung, wie sich meine lange Abwesenheit für dich, kleine Fini, anfühlen musste.
    Ein Moment, ein Winken, Mama steigt ins Flugzeug und ist weg. Weg. Du konntest es bestimmt nicht begreifen, konntest nicht wissen, ob und wann ich wiederkommen würde.
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