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Vier minus drei

Titel: Vier minus drei
Autoren: Barbara Pachl-Eberhart
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Sehr kreativ ist sie dabei nicht: Ein Kind, schwer verletzt in einem Krankenbett. Blut, Schläuche, Maschinen. Mehr fällt meiner Angst nicht ein.
    Ich will mich damit nicht zufriedengeben. Es wird nicht dieses Bild sein, das alle anderen verdrängt. Wenn nötig, werde ich mich auch noch mit letzter Kraft aufraffen und das Kaleidoskop aus der Ecke holen. Es schütteln. Immer wieder aufs Neue.
    Es gibt, das hat mir die Erfahrung gezeigt, einen Weg, die Erinnerung lebendig zu erhalten. Dieser Weg heißt Leben . Die Erinnerung braucht Anknüpfungspunkte. Ich muss sie suchen und kann sie finden.
    Hier. Jetzt. In der Gegenwart.
    Die Bilder der Vergangenheit werden umso deutlicher und schärfer, je vitaler ich gerade bin. Wenn ich mich meinem gegenwärtigen Lebensgefühl voll und ganz anvertraue, kann es sein, dass längst vergessen geglaubte Erlebnisse an die Oberfläche kommen, plötzlich, ohne Anstrengung. Leben und Erinnern schließen einander nicht aus. Ganz im
Gegenteil. Erinnern heißt leben. Zurückschauen fällt dem leichter, der in Liebe weitergeht.
    So gehe ich also hinaus in den warmen Frühlingstag und kaufe mir ein Schokoladeneis, um danach – ganz vorsichtig – das Mosaik nach Hause zu tragen, das mir der Sonnenschein beim Gedanken an einen kleinen blonden Buben namens Thimo schenken wird.

    Thimo.
    Thimo Paul Eberhart.
    Mein Thimps. Mein Wurschtl. Mein Spatzerle.
     
    Shingu Haia.
    Das ist der Gruß, mit dem wir uns stets voreinander verbeugten, bevor wir miteinander kämpften. Gekämpft hast du immer schon gern. Seit du die Shaolin-Mönche im Fernsehen gesehen hattest, waren dabei Rituale ganz wichtig.
    Der Gruß. Die Verbeugung. Die Pause.
    Einmal kämpften wir vor dem Schlafengehen auf dem Bett im Elternschlafzimmer. Du warst nackt und hattest dich für eine Verschnaufpause auf der weißen Daunendecke ausgestreckt. Das Bild rührte mich. Wie schön du warst, wie zerbrechlich! Nicht von dieser Welt, so wollte es mir scheinen.
    »Du bist so ein wilder Kämpfer und schaust doch aus wie ein Engel.«

    Kurzes Nachdenken. Dann ein schelmischer Blick. Ein Grinsen, ein Schulterzucken.
    »Tja, ich bin eben eine optische Täuschung!«
    Diese Runde ging an dich, keine Frage.
     
    Andere kindliche Aussprüche kommen mir in den Sinn.
    »Schau, Mama, lauter Flohschnecken!«
    Ein Zweijähriger sieht den ersten Schnee des Jahres.
    »Ich bin so saftig!«
    Ein kleiner Bub ist durstig und will kein Wasser trinken.
    »Ich hab dich reingelogen«, und: »Ich hab dich auf den Arm gelegt.«
    Ein Lausbub entdeckt das Schwindeln.
     
    Kindergeschichten.
    Du warst zwei Jahre alt und brauchtest Sandalen. Im Schuhgeschäft ließ ich dich aussuchen. Du hattest dich schnell entschieden. Nur ein Paar kam infrage: rote Lacksandalen, geschmückt mit auffälligen weißen Stoffgänseblümchen.
    Minutenlang liefst du im Schuhgeschäft herum. Deine Wangen waren ganz rot vor Stolz.
    »Schau, was ich für schöne Schuhe hab!«
    Verkäuferinnen, Kunden, sie alle pflichteten dir lachend bei.
    Ich ließ dich gewähren. Wie hätte ich dir auch erklären sollen, dass die glänzend roten Schuhe zwar wunderschön, aber leider nur für Mädchen gedacht waren? Ich konnte dich so gut verstehen und fühlte mich gar nicht wohl in
meiner Rolle der Mutter, die dir nach und nach die harte Realität des Lebens würde nahebringen müssen.
    Hättest du darauf bestanden, ich hätte dir die Blümchensandalen gekauft, an jenem Sommertag. Vor allem mir zuliebe. Gern wollte ich mir noch eine Schonfrist gewähren bis zu dem Tag, an dem ich dir gewisse Dinge zu erklären haben würde, bevor du sie durch Spott erfahren müsstest.
    Warum wir den Laden schließlich doch mit einem Paar braun-grüner Sandalen verließen, weiß ich nicht mehr genau. Ich glaube, du fandest sie genauso schön. Gott sei Dank.
    Etwas später, an einem heißen Badetag im August, lackierte ich mir gerade aus einer Laune heraus die Zehennägel. Kirschrot. Das gefiel dir, das wolltest du ebenfalls haben, und ich spielte mit bei dem Spaß. Das Lachen verging mir erst, als du voller Begeisterung riefst:
    »So, jetzt gehen wir ins Schwimmbad und ich zeige dem Bademeister meine schönen Zehennägel! Der wird sich aber freuen, weil ich so schöne Nägel hab’!«
     
    Unsere Spiele. Rollenspiele, noch und noch.
    »Mama, spielst du mit mir?«
    Bei dieser Frage habe ich nicht selten geseufzt. Es war anstrengend, mit dir zu spielen, brauchte immer vollen Einsatz. Du warst die mutige Pippi Langstrumpf und
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