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Vier minus drei

Titel: Vier minus drei
Autoren: Barbara Pachl-Eberhart
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meine Richtung.
    »Nein, danke.«
    Das Weibserl hat es ein bisserl eilig, denn sie hat einen Termin.
    »Wann kommst du zurück, Mama?«, fragt Thimo, und noch bevor ich antworten kann, springt er hoch und wirft sich mir an den Hals.
    »Ich muss am Nachmittag arbeiten, mein Schatz. Aber Papu macht mit dir einen Ausflug, wahrscheinlich bin ich noch vor euch wieder zu Hause.«
    Thimo schlingt seine Arme immer fester um mich.
    »Ich lass dich gar nicht mehr los!«
    »Mama!«
    Nun will auch Fini auf meinen Arm.

    »Nein, die Mama gehört jetzt mir!«
    Ich lasse Thimo trotz meiner Eile noch eine Weile gewähren. Genieße selbst die innige Umarmung.
    In ein paar Monaten ist er sieben, der große Bub. Wer weiß, wie oft er mich noch so drücken wird, bevor es ihm peinlich ist?
    Heute jedenfalls will ich ihn halten, bis es wirklich für uns beide genug ist.
    »Komm, Fini«, bietet Heli ihr seinen Schoß an.
    Ein paar Takte lang wiegen wir uns alle vier zur Musik, dann setze ich Thimo ab. Er ist fröhlich, er ist satt, nicht nur vom Essen. Ich muss jetzt wirklich fahren.
    »Baba!«
    Fini winkt fröhlich von Helis Arm.
    Ein Kuss für Heli, ein Kuss für Fini, ein Kuss für Thimo.
    »Viel Spaß beim Ausflug! Viel Spaß bei der Tagesmutter, Fini!«
    »Bis gleich, Pachlowitsch!«
    Pachlowitsch , das bin ich. Bis gleich, so verabschiedet sich Heli immer, von allen. Es ist sein Gruß.
    »Tschüs, Mama, und viel Glück bei der Arbeit!«, ruft mir Thimo nach, als ich das Haus verlasse und in mein Auto steige.
     
    Der Tag ist schön. Die Sonne scheint. Ich gebe Gas.

Noch einmal beginnen
    Womit? Noch einmal mit Gründonnerstag, dem 20. März 2008. Mit dem Moment an jenem sonnigen Morgen, als mein Mann Heli mit unserem hübschen gelben Clownbus, der schon so viele Passanten zum Lächeln gebracht hatte, über den unbeschrankten Bahnübergang in unserem Nachbarort fuhr.
    Der Zugführer konnte nicht mehr bremsen. Unser Auto wurde von der Fahrbahn geschleudert. Heli war sofort tot, unsere Kinder wurden lebensgefährlich verletzt. So hörten es Freunde und Fremde schon mittags im Radio, so stand es zwanzig Stunden später in der Zeitung.
    Dieser Moment hat mein gesamtes Leben verändert. Er hat mir meine Familie genommen, und mit ihm begann ein neuer, unbekannter Lebensweg. Meter für Meter, Tag für Tag, Schritt für Schritt.
    Mein Weg.
     
    Wo war ich in jenem Moment, als der Unfall geschah? Ich frage mich das immer wieder. Im Supermarkt, als ich gerade die Schokoladenostereier in den Einkaufswagen legte? Haben Thimo und Fini da noch gelacht, gedacht,
geatmet? Und als ich auf dem Parkplatz fröhlich mit meiner Mutter telefonierte? Hatte da Helis Herz bereits aufgehört zu schlagen?
    So oft ich auch darüber nachdenke, die Antwort bleibt dieselbe: Ich weiß es nicht. Ich habe den Moment nicht gespürt, ich hatte keinerlei Vorahnung. Als Finis Tagesmutter auf meinem Handy anrief, verspürte ich sogar leisen Ärger.
    Typisch. Heli hat bestimmt die Zeit übersehen und Fini nicht rechtzeitig zu Edith gebracht.
    Habe ich das Zittern in Ediths Stimme überhaupt bemerkt?
     
    »Eine Freundin ist gerade über den Bahnübergang in Takern gefahren. Sie sagt, dort war ein Unfall mit einem Clownbus.«
    Tief in meinem Unterbewussten beginnt ein Orchester zu spielen, eine Symphonie der Angst. Der Dirigent ist unerbittlich. Das Stück wird lauter und lauter, erreicht eine bedrohliche Intensität, die kaum mehr zu ertragen ist. Die in den Ohren schmerzt und den Körper krümmt.
    »Wie? Ein Unfall? Was ist passiert?«
    Meine Stimme ist leise. Zu leise.
    »Ich weiß nicht. Ich war ja nicht dort, nur meine Freundin.«
    Ediths Stimme vibriert.
    Ich wiederhole meine Frage.
    »Was ist passiert!?«
    Panik erfasst mich.
    »Ich weiß es nicht!«, jammert Edith. Höre ich sie weinen?

    »Meine Freundin hat nur gesagt, da war ein Unfall und am Bahnübergang steht ein Clownbus.«
    »Ich komme!«
    Das Crescendo hört nicht auf, es dröhnt weiter in meinem Kopf. Wo eben noch mein Herz war, spielt irgendjemand Schlagzeug. Zu laut. Zu schnell. Eine gellende Kakophonie durchdringt mich bis in die Zehenspitzen.
    Ich komme.
    Vor mir liegt eine halbe Stunde Fahrt auf der Autobahn. Ob ich fahren kann, ob ich es schaffe, das frage ich mich erst gar nicht.
    Am Bahnübergang steht ein Clownbus .
    An diese Worte klammere ich mich wie an einen Strohhalm.
    Der Bus steht .
    So lange er steht und nicht liegt, kann nichts Schlimmes passiert sein.
    Er steht. Er steht! Ich komme.
    Mein
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