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Vier Fäuste für ein blaues Auge: Wie der Wilde Westen nach Deutschland kam (German Edition)

Vier Fäuste für ein blaues Auge: Wie der Wilde Westen nach Deutschland kam (German Edition)

Titel: Vier Fäuste für ein blaues Auge: Wie der Wilde Westen nach Deutschland kam (German Edition)
Autoren: Tommy Krappweis , Heinz J. Bründl
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Kenntnissen der Judo-Fallschule und eigenen Überlegungen zur Schmerzvermeidung kombiniert und daraus so was wie eine eigene Technik entwickelt, die ein professioneller Stunt-Coordinator zu Recht als »eigenwillig« bezeichnen würde.
    Manches war tatsächlich sehr effektiv und würde auch heute noch funktionieren, andere Techniken waren alles Mögliche, aber eben keine solchen. Hinzu kam die ganz normale Ermüdungserscheinung eines wörtlich zu nehmenden Knochenjobs, gepaart mit restpubertären Konzentrationsschwächen, die ich mir unbedingt austreiben musste, wenn ich das länger als ein paar Tage überleben wollte.

    Schon an meinem zweiten Arbeitstag prellte ich mir bei einem besonders überambitionierten Todessturz auf der Mainstreet das Steißbein so hart, dass ich minutenlang Atemnot hatte. Direkt danach zerrte ich mir beim Spagatsprung der Westernpolka den Unterschenkel und humpelte von der Bühne wie ein angeschossener Fahnenträger. In der Schlussnummer als bärtige Scharfschützin schließlich hatte mir irgendein Scherzbold echten Whiskey mit Tabascosoße statt Cola-Mix in den Flachmann gefüllt, was meinen gesamten Rachenraum in Flammen setzte. Ich hielt durch, bezwang die Nummer durch einen Tränenschleier, während mein Puls den Square Dance tanzte, und fiel am Ende wie geplant über die halbhohe Saloonschwingtür in den Nebenraum. Dort trat ich die Stühle um, mit denen die Soundkulisse und somit das Kopfkino der Zuschauer angereichert werden sollte, erwischte sie etwas arg schräg unten und wurde unter einem Haufen Sitzmöbel begraben.
    Ein typischer Arbeitstag in No Name City. Und der zweite von vielen, vielen weiteren Tagen, monatelang, täglich außer montags von 8.00 Uhr bis 18.00 Uhr und an den Wochenenden bis Mitternacht.
    Genau so war’s. Aber du hast ja immer »hier« gschrien.
    Nach einer Woche hab ich gedacht, ich sterbe. Aber ich war die zwei Jahre über an keinem Tag krank. Ich war immer da.
    Das stimmt. Aber so gehört sich’s halt auch.
    Schon am Freitag meiner ersten Woche in No Name City war ich völlig am Ende. Ich war erschöpft, überfordert, und immer war überall Sand. In den Schuhen sowieso, aber auch in den Ohren, in der Nase, zwischen den Zähnen und überall sonst, wo man Sand nicht haben will. Dort blieb er dann und ging aufgrund stetiger Sonneneinstrahlung unter Leder und Denimstoff mit diversen Körpersäften unterschiedlichste Symbiosen wechselnder Viskosität ein.
    Natürlich duschte ich mich immer täglich, aber kaum hatte ich mich für die Stuntshow wieder auf der Mainstreet herumgerollt und dabei ausreichend eingeschwitzt, war der Zustand des Vortags wiederhergestellt. Blärch.
    Hinzu kam noch das ständige Aus-, An- und Umziehen. Ich war schon früher in der Schule nach dem Sportunterricht immer der Letzte in der Umkleide gewesen – vorausgesetzt, ich hatte meinen Turnbeutel dabei. Auch heute noch versage ich gerne und ausgiebig beim An-, Um- und Ausziehen meiner vierjährigen Tochter Finja. Ich weiß nicht, warum das so ist. Aber irgendwie passiert es mir laufend, dass der Kopf meiner Tochter in einem mehrlagigen Konglomerat aus Unterhemdchen, T-Shirt und Pullover feststeckt, während ihr Arm recht unbequem senkrecht nach oben aus dem Halsausschnitt ragt und sie dumpf irgendwas von »Aua Papa, mein Ohr!« durch die Stoffschichten ruft.
    In No Name City war die Fähigkeit zu schnellem Kleidungswechsel fast so etwas wie ein Einstellungskriterium. Nicht gut für mich. Der typische Ablauf war etwa so:
    Am Morgen stiegen wir aus unseren S-Bahn-kompatiblen Klamotten in die hundertprozentig authentische Westernkluft. Für die Stuntshow wechselte man in die entsprechend stabileren Klamotten, was weitere vier Umzüge pro Tag bedeutete, und direkt drauf durfte ich mich noch ein paar Mal während der Saloonshow umziehen, weil der Typ, der am Lagerfeuer »Rawhide« sang, nicht so aussehen sollte wie der Typ, der die Westernpolka tanzte, der nicht so aussehen sollte wie der »Gambler«, der nicht so aussehen sollte wie Miss Annie Oakley, die zauberhafte Scharfschützin. Da ich mein Mittagessen nicht als Miss Annie Oakley hinunterschlingen wollte, zog ich mich direkt nach der Show abermals um. Dann war es wieder Zeit für den Banküberfall. Darauf folgte die Saloonshow. Dann zog ich mich zum letzten Mal um, denn es war wieder Zeit für die Heimreise mit der S-Bahn.
    Und wenn ihr mal zu erledigt wart, habt ihr euch schon mal auf die Pritschen im Gefängnis gehauen.
    Ja, ab
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