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Vier Äpfel

Vier Äpfel

Titel: Vier Äpfel
Autoren: David Wagner
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gefahren wurden. Eines Tages bin ich dann einfach nicht mehr zum Bauernhof, sondern in die entgegengesetzte Richtung, zum Supermarkt, gegangen und habe dort Vollmilch im Tetrapack gekauft und draußen auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt in die Kannen umgegossen, die leeren Milchkartons warf ich hinter ein Auto. Ein paarmal machte ich das so, dann fand auch meine Mutter, daß die Kuhmilch vom Hof sich kaum mehr von der Milch aus der Kühltheke unterschied. Bald brachte sie die Milch aus dem Supermarkt selber mit.
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    In dem Kühlregal, das die Supermarktfee in ihrem weiß-grün-roten Umhang aufgefüllt hat, steht aus verschiedenen Molkereien stammende Vollmilch mit eineinhalb und dreieinhalb Prozent Fett, es gibt Biomilch im Tetrapack und in braunen Pfandflaschen aus Glas sowie in eckigen Flaschen aus blauem Kunststoff, die wie Blumenvasen aussehen. Neben dem Kühlbereich steht die H-Milch ,
Haarmilch
habe ich früher immer verstanden, fett und fettarm, daneben sehe ich laktosefreie Milch, Sojamilch und diverse kartonverpackte Fertigkakaogetränke, die keine Kühlung brauchen. An den Bauernhof hatte ich schon lange nicht mehr gedacht, dabei habe ich mich hin und wieder doch gefragt, woher die Milch, die ich kaufe, eigentlich kommt und ob die aus einem Tetrapack von nur einer Kuh stammt oder ob sich darin die von Hunderten oder Tausenden Kühen, die einander nie gesehen haben, mischt. Ließe sich herausfinden, wie viele Kühe für genau diesen einen Liter Milch gegeben haben, den ich nun in der Hand halte und in meinen Einkaufswagen lege? Ich weiß, daß die angelieferte Milch in einer Molkerei fein zerstäubt wird, sie wird mit hohem Druck durch eine Düse gepreßt und zugleich stark erhitzt, das ist der Vorgang, den die schon früh von mir mit Mühe auf den Milchtüten buchstabierten Wörter
homogenisiert
und
ultrahocherhitzt
meinen. Ich erinnere mich an einen Bericht über saudi-arabische Hochleistungskühe, die auf einer künstlich angelegten Oase mitten in der Wüste gemolken werden. Sowohl das Wasser für die Weiden als auch das Trinkwasser für die Kühe, die in klimatisierten Ställen stehen, ist fossiles Wasser, das aus mehrere Kilometer tief in die Erde reichenden Bohrlöchern gefördert wird. Jeder Kuh, so war zu erfahren, ist ein Chip implantiert, der ihreMilchleistung registriert. Stellt der Zentralrechner fest, daß eine von ihnen nicht genügend Milch gibt, muß sie krank sein, der Rechner schlägt Alarm. Ist die Kuh zu lange krank, wird sie geschlachtet, weil eine kranke Kuh, die wertvolles, Millionen Jahre altes Wasser verbraucht und Platz in einem aufwendig auf kuhverträgliche Temperaturen heruntergekühlten Stall einnimmt, sich auf Dauer einfach nicht rentiert. Aus der saudi-arabischen Wüste, wo Bauernhöfe, die Milchwirtschaft betreiben, ähnlich unpassend wirken wie neben dem Besucherparkplatz einer Landesnervenklinik, kommt die Milch, die ich hier kaufe, sicher nicht. In einem anderen Supermarkt habe ich einmal Milchtüten mit aufgedruckten Landkarten gesehen, auf denen die Lage der Herkunftsmolkerei eingezeichnet war, leider aber nicht der Bauernhof, auf dem die Kuh gemolken wurde, und auch nicht der Name der Kuh. Kühe haben ja oft so schöne Namen, Alma, Selma, Meta oder Johanna sollen die Kühe heißen, deren Milch ich trinken will.
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    In dem Gang, den ich den Marmeladengang nenne, wende ich den Wagen, und seine Räder drehen sich mit. Nur vollbeladen wird das Steuern schwierig, die Drift läßt sich nicht mehr so leicht kontrollieren, manchmal verhält ein Einkaufswagen sich dann wie ein Kahn in der Strömung, von der man nichts sieht. Ich bremse vor dem Honig und suche nach einem, der nicht aus China oder anderen Nicht-E U-Ländern stammt, muß aber bald feststellen, daß selbst der Biohonig mit dem Almhüttenbildchen auf dem Etikett in Mexiko geimkert wurde, so steht es jedenfalls auf der Rückseite. Ein Honig mit Sombrero auf dem Glas verkauftsich nicht so gut, deshalb die Almhütte, vermute ich und lege ihn in meinen Wagen. Honig ist das einzige Insektenprodukt im Sortiment unserer Lebensmittelläden, darauf hat L. mich einmal aufmerksam gemacht, und ich habe lange nachgedacht, aber mir ist kein anderes eingefallen, geröstete Heuschrecken gehören in unseren Breiten ja nicht zum Angebot. Die fleißigen Bienen haben Blütennektar oder Honigtau – die Ausscheidungen pflanzensaftsaugender Blattläuse – eingesammelt, in ihren Bienenstock geflogen und dort zu Honig verarbeitet, den
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