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Vier Äpfel

Vier Äpfel

Titel: Vier Äpfel
Autoren: David Wagner
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Spinat? Das Wort klingt in meinen Ohren noch heute so, als ob es für ein neuentwickeltes, gentechnisch manipuliertes Nahrungsmittel erfunden worden wäre, dessen genaue Zusammensetzung niemand kennt. Spinat, hieß es immer, sei sehr gesund, denn es enthalte viel Eisen, wie aber sollte Eisen, ich sah davon ja nichts, in dieses Grünzeug kommen? Spinat, so vermutete ich als Kind, ist wahrscheinlich gar kein Gemüse, denn es kommt aus keinem Garten, sondern wird, deshalb ist es schließlich tiefgefroren, in einer Fabrik produziert – woraus, wollte ich nicht genau wissen. Es mußte etwas sein wie Soylent Green, und Soylent Green ist Menschenfleisch, erfuhr ich, Jahre später, aus dem gleichnamigen Film, in dem die harte, grüne, allerdings trockene Masse das Hauptnahrungsmittel der Menschen dieser Zukunftsvision ist und in einer streng geheimen Hochsicherheitsfabrik hergestellt wird. Spinat – das Wort, das wegen der beiden langen Vokale fremd klingt, stammt aus dem Persischen und die Pflanze selbst aus Persien – muß es früher, vor der Verbreitung von Tiefkühltruhen, auch in anderen Aggregatzuständen gegeben haben. Ursprünglich kam er, das weiß ich aus den
Popeye-
Comics der Apothekenheftchen, aus der Dose,aber ich selbst habe ihn, der in meiner Kindheit fast immer zusammen mit Fischstäbchen auf den Teller kam, nie in Dosen gesehen. Fischstäbchen mit Spinat und Kartoffelpüree war ein Kindergericht, das zwei Tiefkühlprodukte und ein Tütengericht zusammenbrachte. Dreimal eine Kartonverpackung aufreißen und einmal eine Tüte – die, in der die Kartoffelpüreeflocken steckten   –, das Gefrorene antauen lassen, erwärmen, anbraten, die Flocken einrühren, die Fischstäbchen vor dem Verzehr vielleicht noch mit Zitronensaft aus der Plastikzitrone bespritzen. Wahrscheinlich war die angedunkelte, teils schwarze Panade schon in der Pfanne abgefallen, als hätte sich der Fisch, der als Fisch doch gar nicht zu erkennen war, aus seiner panierten Haut gepellt. Im Mund hatte ich dann zwei Konsistenzen, die dünne, rauhe, entweder noch harte oder bereits fettdurchsogene und daher weiche Panade, die offenbar bloß dazu da ist, den Fisch zu verbergen, sowie den Fisch selbst, anfangs noch kantig, dann zerfallend in seine Fasern. Fischstäbchen, ich sehe sie nun hier in Packungen zu fünf, zehn, dreizehn und fünfzehn Stück, 5 haben keine Schuppen, keine Flossen und keinen Schwanz, sie haben, meistens jedenfalls, auch keine Gräten, riechen nicht einmal nach Fisch undhaben auch keine Augen, was mir als Kind erleichterte, sie zu essen, denn ich konnte nicht essen, was Augen hatte und mich ansah. 6 Schon damals wußte ich, daß Fischstäbchen in England
fishfingers
heißen, weshalb ich zuerst vermutete, die ab- und glattgehobelten Finger sehr großer Fische zu essen, weil ich aber inzwischen aus Bilderbüchern gelernt hatte, daß Fische keine Finger haben, mußten Fischstäbchen doch anderswo herkommen. Ich stellte mir also vor, daß Fischstäbchen hoch oben im Norden geerntet würden, ich dachte an eine Stäbchenstecherei am Eismeer, in der die weiße, tiefgefrorene Masse wie Torf im Moor gestochen und dann paniert wird, und es kam vor, daß ich im Sommer am Strand darauf wartete, daß die Wellen das eine oder andere an einem kleinen Eisberg klebende Fischstäbchen anspülten, angespült aber wurden nur ausgedrückte Sonnencremetuben, in der Brandung rundgeschliffene Glasscherben und leere Waschmittelkanister, die niemals Schatzkarten enthielten.
    11
    Schon friere ich. Neben den Fischstäbchen, die statt wie Stäbchen wie längliche Bauklötze aussehen, liegen in der Tiefkühltruhe weißgefrorene Hühner, Enten und polnische Gänse. Die Krabben in den Tüten sehen aus wie Insekten, und das Tiefkühlgemüse steckt, es muß wohl so sein, in Kartons, die in Grüntönen gehalten sind, die Verpackungen der Tiefkühlbeeren hingegen leuchten in verschiedenen Abstufungen rot. L. hat mir einmal, aber das ist lange her, gesagt, wenn Küsse eine Farbe hätten, müßten sie die Farbe von Himbeeren haben. Sie meinte auch, daß es Erdbeerküsse gebe und solche, die nach Himbeere schmeckten. Ich konnte darauf nur erwidern, daß jeder Kuß auf ihren Lippen ein klein wenig anders schmecke, aber das sei bei den wilden Himbeeren, die man im Wald pflücke, ja auch so. Und ich fügte hinzu, daß im Mund jede Himbeere die Erinnerung an den Geschmack der davor auslösche, und genauso lasse jeder ihrer Küsse den vorhergehenden vergessen.
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