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Vier Äpfel

Vier Äpfel

Titel: Vier Äpfel
Autoren: David Wagner
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Küsse aber, denke ich jetzt, lassen sich nicht einfrieren, das unterscheidet sie von Himbeeren. 7
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    Die vier Äpfel in der Tüte und die beiden Zitronen rollen auf dem Bodengitter des Einkaufswagens hin und her, was mich daran erinnert, daß die Äpfel im Haus meiner Großmutter im Apfelkeller lagerten, einem Raum mit vielen Regalen, auf deren Brettern die Äpfel einzeln, jeder für sich – sie durften einander nicht berühren, weil ein Wurm sonst von einem in den nächsten hätte kriechen können – auf ihre Verarbeitung warteten. Sie hielten sich den Winter hindurch, bis schließlich, kurz vor Ostern, nur noch die kleinsten, immer schrumpeliger gewordenen Exemplare auf den Apfelregalbrettern lagen, weil meine Großmutter mich immer wieder hinunter in den Keller geschickt hatte, um fünf oder sechs große Äpfel zu holen, aus denen sie Bratäpfel, Apfelpfannkuchen, Apfelkuchen oder Kompott mit Nelken zubereitete. Frischgekochtes Apfelkompott stand oft zum Abkühlen auf dem Fensterbrett, zwei Schüsseln aus Glas nebeneinander. Zu dem Kompott gab es meist Reibekuchen, knusprige, in heißem Sonnenblumenöl ausgebackene Kartoffelpuffer, die meine Großmutter natürlich nicht tiefgefroren, vorgeformt und vorgebraten aus einer Pappverpackung nahm, sondern aus einem Teig briet, für den sie rohe Kartoffeln selbst gerieben hatte. Nach diesem Essen roch es immer eine Weile nach Fett, ein Geruch, der, wenn ich zu lange in der Küche gesessen hatte, dann auch in meinen Kleidern hing.
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    Vor dem Kühlregal steht eine Angestellte in einem weißen, mit roten und grünen Bordüren abgesetzten Kittel und gut eingelaufenen, fast schon ausgelatschten, frühervielleicht reinweiß gewesenen Turnschuhen und sortiert Milchkartons und Trinkjoghurts. Meine Mutter, daran muß ich nun denken, hat mich als Kind hin und wieder Milch holen geschickt. Leider ging es, auch wenn ich mich gern an eine solche Idylle erinnern würde, dabei nicht über Wiesen und Felder, sondern über Verbundsteinpflaster und frischasphaltierte Straßen eines Neubaugebiets zu einem Bauernhof, der neben einem großen, mit buschigen Friedhofsträuchern und anderem dornigen Ziergestrüpp bepflanzten Besucherparkplatz der Landesnervenklinik stand. Eigentlich müßte es wohl heißen, daß neben dem Bauernhof ein großer Parkplatz lag, denn der Bauernhof war ja vor dem Parkplatz und dem Neubaugebiet dagewesen. Allerdings empfand ich es als unangebracht, beinahe demütigend, mit zwei leeren Milchkannen – eine war aus roter Emaille, die andere, kleinere aus einem halbtransparenten Kunststoff mit gelbem Deckel – zu einem Bauernhof gehen zu müssen, der sich mitten in einem Neubaugebiet befand und überhaupt nicht zu den BMWs und Golf Cabriolets paßte, die in den Einfahrten der mit Zierklinker verkleideten Eigenheime parkten. Auf dem Hof stank es nach Gülle, und ich haßte den Hund, der immer an seiner Kette zerrte, laut bellte und jaulte, wenn ich an ihm vorüberging, und ich mochte auch die Kühe nicht, die im Stall brüllten, anstatt ein sanftes, zufriedenes Muhen hören zu lassen. Diese immer eingesperrten Kühe, da war ich mir sicher, mußten unglückliche Kühe sein, und ich konnte auch die Bäuerin nicht leiden, eine mißmutig, leicht verschlagen wirkende Person, die mir die Milch aus einem riesigen Bottich, in dem sie gleich mehrere Kinder hätte ertränken können, in die Kannen schöpfte. Sie schöpfte mit großer Kelle, erst in die rote Emaillekanne, in die zwei Liter paßten, dann in diekleinere aus Plastik, die ich lieber mochte, eben weil sie aus Plastik war. In dem Raum mit dem riesigen Bottich roch es nach saurer Milch, und wie überall auf dem Bauernhof gab es Fliegen, die sich auch von einem Fliegenvorhang, der ihren Facettenaugen vortäuschen sollte, an seiner Stelle befände sich ein Wasserfall, nicht davon abhalten ließen, zur Milch zu wollen, die in einem offenen Kessel gerührt wurde. Lieber wäre ich in ein Geschäft gegangen und hätte Tütenmilch gekauft, ich hatte kein Bedürfnis nach frischer Kuhmilch und der Haut, die sich beim Erwärmen auf ihr bildete, außerdem wußte ich schon damals, daß es in unserem Europa viel zu viele Kühe, einen Milchsee und einen Butterberg gab und dieser Bauernhof demzufolge gar nicht mehr nötig gewesen wäre, zumindest nicht hier, im Neubaugebiet, neben dem Parkplatz der Landesnervenklinik. Nicht einmal den konnten die Kühe aus ihrem Stall sehen, sie verließen ihn nur, wenn sie in den Schlachthof
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