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Vielleicht Esther

Vielleicht Esther

Titel: Vielleicht Esther
Autoren: Katja Petrowskaja
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hatte ich gefragt, wie der Hund hieß, der das Ka
ninchen und die Gänse durch den Hof jagte und dann mit einer der Gänse spielte, er hatte in unsere Runde eine Heiterkeit hineingebracht und eine Komik, so dass wir jeden Kummer vergaßen. Den Namen des Hundes, den Hans zwei Jahre später überfuhr, wonach er in eine rauhe, unzugängliche Trauer versank, habe ich vergessen.
    Aber damals dachte ich an den Hund, den Tristan Isolde geschenkt hatte, so fröhlich war dieses Geschöpf von Hans, Tristan schenkte Isolde einen Hund – Jahre waren vergangen seit ihrer Begegnung, trotzdem waren sie erst halb so alt wie wir jetzt –, er schenkte ihr einen Hund mit kleinen Glöckchen, um sie aufzuheitern und ihr zu helfen, ihn zu vergessen. Oder war es umgekehrt, um sie an ihn zu erinnern, aber fröhlich? Auch den Namen dieses Hundes habe ich vergessen, ich habe beinahe die Tristesse vergessen, die mich ergriff, als wir den Räuber Hans verließen, denn ich musste nach Mauthausen, Gott weiß warum, und eine Fahrt mit dem Jeep passte nicht in mein Epos.
    Wir gingen,
und Hans winkte.
    Fahrt nach Mauthausen
    Mir scheint, die Menschen im Zug – eine seltsame Mischung von sportlichen Wesen in kurzen Hosen und Wanderschuhen, schlafenden Japanern und Männern in frisch gebügelten Anzügen auf der Fahrt zur Arbeit nach Salzburg, vielleicht sogar nach Wien – mir scheint, sie alle wissen, wohin ich fahre und dass ich nicht zu ihnen gehöre. Ich fahre alleine hin. Ich gehöre nicht zu den Schulklassen, die
das müssen, ich gehöre nicht zu den Menschen, die es als Bildungsreise betrachten, als sicheren Weg zu noch mehr Geschichtsbewusstsein oder als eine Art moralischen Imperativ. Ich bin allein auf meiner Fahrt, doch ich wünschte, meine Mitfahrer könnten wissen, und wenn nicht, dann wenigstens erraten oder fühlen, wohin ich fahre. Als ob es so wichtig und ungewöhnlich wäre, nach Mauthausen zu fahren. Manche wohnen doch immer dort, in dieser modernen Barockstadt, aber ich will, dass sie es wissen, als ob erst ihr Wissen meiner Reise einen Sinn verleihen würde, als ob ich erst dann meine private Unternehmung zu einer Pilgerfahrt erklären dürfte. Und obwohl ich allein nach Mauthausen fahre, tue ich es für alle Mitreisenden, ohne sie zu fragen. Ja, ich werde Grüße von Ihnen bestellen, ich mache es schon, liebe Leute, Sie müssen es nicht selber tun, fahren Sie weiter, nur wenn Sie wandern gehen, vergessen Sie mich bitte nicht, dann sind wir quitt.
     
    Eine alte Dame staunt über mich und meine Gerätschaften, über das Netzwerkgerät, das mir den Weg zeigen soll, über mein iPhone mit seinen von mir nie erlernten Funktionen, die Kopfhörer und die Kabel in verschiedenen Farben aus verschiedenen Epochen, die ich vergeblich miteinander zu verbinden versuche – dieses Konglomerat, dieser Krake, dieses Netz, das mich voranbringen soll, fesselt mich an Händen und Füßen. Denke ich an das Gerät fürs Melken und immer noch an die Kühe von Hans? Ich helfe der vor Staunen leicht geschwächten Dame mit ihrem Koffer. Sie steigt in Salzburg aus, wendet sich zu mir um und sagt unerwartet streng, Gute Weltreise noch! Sie wollte Gute Weiterreise sagen, aber nun hat sie mir einen Versprecher
versprochen, der mich bei meinem Größenwahn ertappt. In Linz frage ich in der Buszentrale, wo ich den Bus nach Mauthausen finde. Und tatsächlich fährt die Nummer 360 nach Mauthausen, einmal rund um die Welt.
     
    Ich stehe an der Haltestelle im großen Busbahnhof und warte. Die Ziffer 360 bestätigt mir, dass ich auf dem richtigen Weg bin, mich im Kreis bewege. Diese Zahl wäre auch ein Beweis dafür, dass ich immer noch am Anfang aller Reisen stehe, aber ich rechne weiter und ziehe die 360 des Busses von den Tagen des Jahres ab und denke an den Rest. Fünf, manchmal sechs Tage. Sind diese Tage die wichtigsten? Sind es die Tage, an denen wirklich etwas passiert, sind es die einzigen Tage, die einen Sinn haben, und mehr pro Jahr werden es nicht sein?
     
    Ich habe Schilder, Fahrpläne und Displays fotographiert, um zu beweisen, dass ich hier war, nicht den anderen, sondern mir selbst. Ich mache das sonst nicht, auch von meinen schönsten Reisen habe ich keine Bilder, ich kann nicht gleichzeitig leben und fotografieren, aber nun sage ich zum Augenblick, verweile doch! Du bist so schön! Knips. Verstehen werde ich später.
     
    Zuerst war ich allein an der Haltestelle und grübelte, ob überhaupt Busse dorthin fahren können. Ich machte
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