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Video-Kid

Video-Kid

Titel: Video-Kid
Autoren: Bruce Sterling
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doch irgendwie nett von dem häßlichen alten Dinosaurier, die Anstrengung auf sich zu nehmen, mich ein wenig unterhalten zu wollen.

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    Drei Stunden vor Sonnenaufgang befand ich mich auf der Nordspitze der Insel - im Zasterpflaster, dem ausgedehnten, aus Kalkstein gebauten und üppig mit Säulengängen ausgestatteten Domizil meines Freundes und Schutzheiligen MünzScheinberg. Ich bewunderte die innere Kraft meines Gönners, seinen ungebrochenen Hang zum Leben inmitten einer solch anstrengenden und bizarren Umgebung. Wie gewöhnlich drängelten sich in seiner wunderbaren Villa mit Seeblick die Kellner, Klienten und Hausfreunde, die Schmeichler und Speichellecker, diverse Pornostars, gerade auf dem Aufstieg nach ganz oben, und ambitionierte Bandspezialisten, ganz zu schweigen von den gewohnten unidentifizierbaren Sonderlingen: Scheinbergs chirurgisch veränderten Haustieren, mutierten und gekreuzten Geschöpfen aus seinen riesigen, alle Maße sprengenden Terrarien und Aquarien, groteske, herumspazierende Hologramme und schlußendlich ein tatsächlich hier ansässiger Alien. Inmitten dieses Panoptikums mußten ihm seine sehr gerühmten Frühstücke schon wie eine Stunde der Muße und Ruhe vorkommen. Und tatsächlich wirkte er frisch und locker, während er seinen gastgeberischen Pflichten nachkam.
    Scheinberg hatte fünf Gäste eingeladen … wie stets zu seinen Frühstücken. Und wie üblich waren wir eine ausgesprochen heterogene Gesellschaft. Allrot Dickicht, den Poeten, und Starkbein Nimrod, den Forscher, kannte ich bereits. Sie gehörten zu Scheinbergs engsten Freunden. Aber Professor Angelhecht von der Akademie und Sanktanna Zwiegeboren, die aus politischen Gründen von Niwlind geflohen war, hatte ich noch nie gesehen. Beide waren erst kürzlich auf Träumerei gelandet; nach der langen und schmerzhaften Dekontaminationsprozedur in einer Orbital-Eininsel.
    Dickicht war ein kleiner, hagerer Mann mit vorstehendem Adamsapfel und dichtem, struppigen roten Haar. Mit einer Miene stiller Melancholie zog er einen faustgroßen Brocken rohen Fleisches aus einer Tasche und reichte es seinem Liebling, einer Gottesanbeterin. Das grüne, armlange Chitin-Monster folgte ihm überallhin. Es nahm die Gabe mit einer Vorsicht und Zurückhaltung entgegen, die sich nur mit Dickichts eigener vornehmer Art vergleichen ließ, und knabberte daran herum. Dabei holte es geräuschvoll durch seine Atemlöcher Luft, die einen Durchmesser wie mein kleiner Finger hatten.
    »Der Morgenstern ist in dieser Nacht beeindruckend hell, nicht wahr?« bemerkte Starkbein, während er auf dem Balkon stand und hinaus auf die sanfte Brandung des Riffs sah. »Habe ich euch je von der Zeit erzählt, als ich dort gewesen bin?«
    »Jetzt aber halblang, Starkbein«, lachte Scheinberg. Konversation war seine Stärke. »Es ist schon vierhundert Jahre her, seit auf dem Morgenstern gearbeitet wurde. Wir sind hier alle nicht schwach im Kopfrechnen. Oder willst du uns hier etwa hinters Licht führen und uns eine groteske und unmögliche Geschichte über deine Langlebigkeit erzählen?«
    »Du hast von vierhundert Jahren gesprochen, ich nicht«, entgegnete Starkbein. »Ich war vor knapp fünfzig Jahren dort. Während meiner Hochgleiter-Zeit, weißt du. Die letzten Detonationen haben die ganze Kruste des Morgensterns zerschmolzen. Das verleiht ihm auch seine hohe Albedo.« Ich mochte Starkbein. Aus ihm hätte ein guter Kampfkünstler werden können, deshalb vergab ich ihm auch seine notorische Angewohnheit zu lügen.
    »Herr Dickicht«, meldete sich Professor Angelhecht mit seiner durchdringenden, pedantischen Stimme, »sind Sie sicher, daß ihr Gliederfüßler dort ordentlich dekontaminiert wurde? Und dürfte ich mich nach der Herkunft dieses Geschöpfs erkundigen? Ist es möglich, daß es von dem Kontinentalgebiet stammt, das wir volkstümlich die Masse nennen?«
    »Das weiß ich nicht, mein Herr«, sagte Dickicht höflich und klopfte seinem Schoßtier freundlich auf die harte, transparente Schutzwölbung über dem linken Facettenauge. »Ich habe ihn halb ertrunken am Riff gefunden, die Strömung hatte ihn dort angespült. Ich kann Ihnen allerdings versichern, daß ich seine Innereien nie nach Protozoen untersucht habe, wenn Sie das wissen wollten.«
    »Warum interessieren Sie sich so für die Masse, Professor?« wollte Scheinberg wissen, und an jeder einzelnen Silbe seiner Worte war seine Neugierde zu erkennen.
    »Warum ich mich dafür interessiere? Warum?«
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