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Video-Kid

Video-Kid

Titel: Video-Kid
Autoren: Bruce Sterling
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ließ sich ansonsten nicht beim Kauen stören.
    Ich verließ den Raum. »Kreidepfeifer gibt dir ein paar neue Kameras und Bandmaterial«, rief Scheinberg mir nach. »Schicke mir alles, was du aufnimmst. Deine Filme sind mir stets willkommen!«
    Ich warf die Tür hinter mir zu und traf in der Diele Anna. »Es war entsetzlich«, sagte sie und zitterte. »Aber, Kid, ich halte es nicht für richtig, wenn du ihn bekämpfst. Jedenfalls nicht, wenn Rache dein Motiv ist. Ich habe Rache nie für recht gehalten.«
    »Ich schwöre der Blutfehde ab«, sagte ich leise. »Ein solches Leben will ich nicht mehr führen. Das war einfach zuviel für mich. Großer Tod und große Schmerzen, er hat mich so durcheinandergebracht, daß ich meinen Nunchuck liegengelassen habe … zum erstenmal in dreißig Jahren.«
    Als ob sie unsere Gedanken gelesen hätte, stand Cewaynie Feuchtlocke plötzlich in der Tür und hielt meinen Nunchuck in der Hand. »Du hast das hier vergessen«, sagte sie schüchtern. »Kid, Tanglin, es tut mir so leid, daß du Streit mit Scheinberg bekommen hast, und ich finde, er hat dir übel mitgespielt. Ich weiß, wie sehr du Armitrage geliebt hast, schließlich habe ich das Band bearbeitet. Und diese Love-Story ist bereits ein Kultfilm geworden. Ich habe keine Lust, noch länger bei diesem stumpfsinnigen Bankett zu bleiben. Weißt du, was wir jetzt machen, ich zeige dir alle deine Bänder, und du kannst sehen, was ich aus dem Material gemacht habe. Ich habe jedes Stück Film gesehen, das du je gedreht hast, das kannst du mir glauben. Und ich habe dein neues Material so bearbeitet, wie du es auch getan hättest. Willst du nicht zu mir nach Hause kommen? Es ist ein hübsches Haus und gehörte früher einmal einem Mitglied des alten Aufsichtsrats, bevor Angelhecht ihn hat hinrichten lassen. Also, es ist wirklich wunderbar dort, und … nun ja … du bist jetzt kein Kind mehr, oder? Genausowenig wie ich. Ich möchte dir alle Bänder zeigen. Und dann machen wir unsere eigenen. Ich besitze eine ganze Bibliothek. Armitrages Bänder sind auch darunter. Sogar seine verrücktesten Sachen. Du brauchst nur ja zu sagen, und dann können wir ganz wundervolle Sachen machen und sie auf Band aufnehmen. Was immer du willst, ich bin zu allem bereit. Und wenn du keine Lust dazu hast, ist es auch nicht schlimm. Du mußt nur mitkommen. Das tust du doch, ja? Bitte.«
    »Es tut mir leid«, sagte ich, »aber ich verlasse Telset auf der Stelle.«
    »Was, das wäre ja eine Tragödie! Kannst du denn nicht wenigstens ein paar Stunden für mich erübrigen? Die Nacht ist doch schon angebrochen.«
    »Fräulein Feuchtlocke«, sagte Anna mit erzwungener Geduld, »meinst du nicht, du verlangst ein bißchen viel?«
    »Ach, Anna«, meinte Cewaynie und stemmte die Hände in die Hüften, »ich liebe dich wie eine Schwester, und du bist eine wirkliche Heldin, von der jeder in Telset schwärmt, aber da gibt es ein paar Sachen zwischen Männern und Frauen, von denen du nicht allzuviel Ahnung haben dürftest, ganz besonders nicht von den Männern auf dieser Welt und ganz und gar nicht von einem Mann wie Kid. Du darfst nicht vergessen, daß ich mir alle Bänder über euch angesehen habe, und ich weiß eigentlich alles über euch. Außer vielleicht der Zeit am Strand. Aber da habe ich wohl nicht sonderlich viel verpaßt, denn ich kenne dich, Anna, dich und deine verdrehten Moralvorstellungen. Nach zweiundfünfzig Jahren im Zölibat können sechs Monate an einem Strand nicht übermäßig aufregend gewesen sein.« Sie sah Anna frech ins Gesicht. »Ich wette, null und nichts hat sich dort abgespielt!«
    »Ich stelle fest, daß du eine außergewöhnlich hohe Meinung von deiner Attraktivität hast«, sagte Anna steif.
    »Anna, du bist wunderbar, und irgendwie bewundere ich auch deine abartige Lebensweise, aber du hast deine Chance mit Tanglin gehabt und hast sie in den Sand gesetzt! Er ist jetzt ein Mann und keine lebensgroße Puppe! Ich kann Kid Sachen zeigen und geben, von denen du in deinen wildesten Träumen noch nie etwas gehört ...«
    Dann brach Cewaynie Feuchtlocke plötzlich zusammen und lag keuchend am Boden. Das Unglaubliche war geschehen: Anna hatte Cewaynie mit der vollen Kraft einer geballten Kampffaust in den Solarplexus geschlagen.
    Ich sah sie verblüfft an. »Sprich es bitte nicht aus«, sagte sie und hatte plötzlich Tränen in den Augen. »Ich habe sie niedergeschlagen. Und dazu hatte ich kein Recht. Was wissen wir beide eigentlich voneinander?
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