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Video-Kid

Video-Kid

Titel: Video-Kid
Autoren: Bruce Sterling
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Träumerei gelangt bin, so ist mir das durchaus recht. Auf Niwlind sagte man mir, Träumerei sei ein Paradies ... niemand müsse hier arbeiten, und die Regierung bestehe aus einer unsichtbar bleibenden Plutokratie. Aber ich habe entdeckt, daß es hier viel für mich zu tun gibt. Und natürlich haben Sie recht, Scheinberg, ich vermisse meine alten Freunde wirklich sehr. Mittlerweile dürfte die niwlindische Regierung ihre Politik des Völkermords erfolgreich durchgeführt haben, und meine Leute sind entweder in alle Winde zerstreut oder tot. Ich wünschte, ich hätte mehr für sie tun können. Das ist es auch, was mich so melancholisch stimmt.«
    »Dann betrachtest du dich selbst also als eine Kraft«, sagte Scheinberg, »die dem Guten im Universum zum Durchbruch verhelfen will?« Als Sanktanna nickte, fuhr Scheinberg fort: »Solche Grundsätze haben mich immer stark interessiert. Berichte uns doch etwas mehr über deine Arbeit. Wenn ich recht informiert bin, handelt es sich bei deinen Freunden um eine nichtmenschliche Spezies, nicht wahr? Um die sogenannten Moormoas, riesige, flugunfähige Laufvögel. Und du hältst sie für intelligent … Bist davon überzeugt, daß sie eine unberührbare Seele, daß sie Geist und einen freien Willen haben?«
    Sanktanna strich wieder über die Federn in ihrem Haar. »Mein Herz sagt es mir. Ich gebe offen zu, daß ihre Intelligenz in keinerlei Hinsicht an die der Menschen heranreicht, aber sie nehmen unzweifelhaft ihren Platz im kosmischen Plan ein. Aus diesem Grund habe ich auch Demonstrationen organisiert, um ihre Wohngründe, die Moore, vor Trockenlegung und wirtschaftlicher Ausbeutung zu schützen. Aber unsere Regierung ließ sich durch nichts erweichen und ging brutal vor. Viele meiner Mitstreiter sahen keinen anderen Ausweg mehr, als zu verzweifelten, gewalttätigen Akten zu schreiten. Schließlich hat man mich verhaftet und für alles verantwortlich gemacht. Das Gericht wies mich vom Planeten, und jetzt bin ich hier.«
    »Ungeheuerlich!« sagte Scheinberg. »Ich darf wohl davon ausgehen, daß die Mehrheit deiner Mitbürger ein ganz anderes, weniger vorteilhaftes Bild von den Moas hatte.«
    »Leider«, antwortete Sanktanna. »Die Moas haben keine Sprache, haben die Niwlinder immer gesagt. Sie haben weder Hände noch Werkzeuge, weder eine Geschichte noch eine eigenständige Kunst. Sie fressen ihre Kranken, brechen hin und wieder in eine Stampede aus und attackieren und töten sowohl Nutztiere als auch Wild. Sie sind jähzornig, voller Warzen im Gesicht und überhaupt häßlich. O ja, so viele unschöne Dinge haben sie über die Moas gesagt.«
    »Und das alles entsprach wohl auch den Tatsachen«, sagte Allrot Dickicht und schwieg dann, um seine Gottesanbeterin mit einer Muschel zu locken.
    »Ja, unglücklicherweise ja«, sagte Sanktanna, »aber diese Menschen haben nie mit den Moas zusammen in den Mooren gelebt, haben sie nie tanzen gesehen.«
    »Und was, bitte, hat dich dazu gebracht, zu diesen Wesen zu gehen und Freundschaft mit ihnen zu schließen?« wollte Scheinberg wissen. »Wie kommt man darauf, etwas so Atypisches zu tun?«
    »Alle Formen des Lebens sind heilig«, sagte Sanktanna. »Ich hörte den Ruf in mir und bin ihm gefolgt.«
    »Wie hast du dich auf diesen Ruf vorbereitet? Ging ihm eine lange Phase des Zölibats voraus?« Als sie wieder nickte, leuchteten Scheinbergs Augen auf. »Aber ich darf annehmen, daß deine Fortpflanzungsorgane voll funktionstüchtig sind?« Sanktanna nickte erneut, doch diesmal merklich zögernder.
    »Diese Erfahrung habe ich schon oft mit Berufenen gemacht«, erklärte Scheinberg mit einer weiten Armbewegung. »Ich vermute, teure Sanktanna, daß dein Altruismus und deine Sexualitätsunterdrückung aufs engste miteinander verknüpft sind. Ich beglückwünsche dich zu deinem Geschick bei deiner Selbstmanipulation.« Er nahm noch eine Muschel zu sich.
    »Ganz so ist es nicht«, sagte Sanktanna. »Es stimmt, daß ich versucht habe, mich durch asketische Prüfungen zu reinigen, aber das mir innewohnende Streben nach Güte war schon vorher da.«
    »Wirklich?« fragte Scheinberg. »Dann wollen wir doch einmal eine solche Prüfung durchführen und feststellen, wieviel von deinem Streben nach Güte angeboren ist und wieviel anerzogen; wieviel davon echt und wahr aus deinem Herzen kommt und wieviel davon herrührt, daß man dich, wie uns alle, in eine vorgefertigte Form gepreßt und einen menschlichen Bonsaibaum aus dir gemacht hat. Wir wollen dazu
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