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Video-Kid

Video-Kid

Titel: Video-Kid
Autoren: Bruce Sterling
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von Niwlind stammte. Die fremden Arten gediehen prächtig, aber im Lauf der Jahrhunderte mußten sie hochentwickelten einheimischen Spezies Platz machen, die von Vögeln herübergetragen oder von der Flut herangespült worden waren. Heute breitet sich auf Telset eine ungeordnete Artenvielfalt aus, die ihren Ursprung auf mindestens einem Dutzend Welten hat. Jede einzelne Art kombiniert sich mit anderen oder sucht sich eine Nische im chaotischen, universellen Ökosystem der Insel.
    Die Stadtgrenzen sind nicht genau festzustellen. Die modernen Gebäude - gebaut aus Kalkstein, Travertin, Marmor, Metall oder Holz - stehen über die ganze Insel verstreut. Sie verstecken sich in den Wäldern oder haben sich halb in den Riffs eingegraben. Sie ragen aus dem Küstengras hervor oder kuscheln sich in Täler, Buchten oder Senken. Telset ist durchgehend verkabelt, womit jeder Grund für ein engeres Beisammenwohnen entfällt. Die wichtigste Freizeitbeschäftigung für die Bürger ist das Videoband: Mußebänder, Kunstbänder, Life-Bänder, Gedächtnisspeicher-Bänder, so sieht unser Leben aus.
    Ich habe Telset von vorn bis hinten erforscht, zu Fuß oder im Hopper. Ich kenne die dichtgedrängten, dickwandigen, aber verlassenen Gebäude von Alt-Telset wie meine Westentasche. Der größte Teil von Alt-Telset bildet heute die Entkriminalisierte Zone; meine Bühne, meine Arena. Auch über die Kanäle im Telset-Riff weiß ich Bescheid. Ich habe sie mit meinem kleinen Skiff, der Seepeitsche, durchfahren, habe sie durchschwommen oder mit dem Aqua-Hopper durchtaucht. Die Biber, Schlammwühler, Glattrochen und Riesenrochen habe ich alle mit eigenen Augen gesehen, genauso wie die Dreizehenmöwen, Wildgänse, Scherenschnabel und Kormorane. Ich habe die riesigen, schlickausspeienden Seegurken beobachtet, wenn sie, groß wie ein Haus, ihren plumpen Leib an den Strand wälzten, und habe sie mit meinen Händen berührt. Ich habe mir die gewaltigen verkrusteten Zylinder am Turmriff angesehen. Manche sind zwei Stockwerke hoch. Ich habe sie bestiegen und bin von ihrer Spitze ins Wasser gesprungen. Ich habe Telset gesehen, gehört, geschmeckt und berührt, und ich habe das scharfe Salzwasser in seiner Luft gerochen. Und am wichtigsten von allem, ich habe Telsets Bürger kennengelernt.
    Diejenigen unter meinen Zuschauern, die meine Karriere von Anfang an verfolgt haben (ich kenne einige, die sich eine ganze Videothek mit meinen Bändern angelegt haben), wissen, daß meine Laufbahn als junges Mitglied in der KognitivDissonanz-Gang begonnen hat. Die Bande wird seit acht Jahren schon von einem wirklich glänzenden Pärchen angeführt: Frostfaktor und Eisdame. Frost und Eis waren für meine Entwicklung als Kampfkünstler und Video-Star verantwortlich. Der Umstand, daß ich manchmal Mitglieder der Bande (Sechsfinger, Hammer, Millionen Masken, Freudige Betäubung, Flugbill Flachschnabel, Kette, Hirn, Sumo, Hinker und Blinker) angefallen und ihnen eine Aufmischung verpaßt habe, sollte keinen Zuschauer zu der irrigen Annahme verleiten, ich würde alle diese hervorragenden Künstler und Kämpfer nicht besonders mögen.
    Sie haben mir meine ersten Kameras gekauft. Sie haben mir unzählige Tips für die beste Präsentation meiner Fähigkeiten gegeben. Sie haben mir den ersten Kampfanzug besorgt und mir bei der Wohnungssuche geholfen. Sie haben mir die Bandenetikette beigebracht und mich in die Riten der Kampfkunst und in den Kodex eingeweiht.
    Der Kodex bestimmt unser Leben. Wenn es den Kodex nicht gäbe, hätten wir uns alle schon vor Jahren gegenseitig umgebracht.
    Natürlich liegt das schon acht Standardjahre zurück. Mittlerweile habe ich den obersten Platz in dieser blutigen Skala erklommen.
     
    Kampfkünstler verbringen trotz des heutigen technomedizinischen Standards eine ganze Menge Zeit im Krankenbett. Man kann eben nicht immerzu kämpfen, und dann sind Arztrechnungen zu bezahlen, und auch der Smuff kostet einiges. Die Ausgaben sind so vielfältig, daß selbst die allerbesten Kampfkünstler im Vergleich zu den oberen Zehntausend von Träumerei nur über mäßigen Reichtum verfügen. Aber Geld ist in unserem Beruf nicht alles: In meiner jugendlichen Vorstellungswelt haben Ruhm und ein schrecklicher Ruf stets viel mehr bedeutet. Und bald besaß ich genug Geld, um in der Entkriminalisierten Zone ein komfortables und sicheres Leben zu führen - dank eines computergesteuerten Alarmsystems, regelmäßig eintreffender Tantiemen, ständigen Vorrats an Smuff
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