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Vertragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker?: Tragikomisches von unserem Körper und denen, die ihn behandeln (German Edition)

Vertragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker?: Tragikomisches von unserem Körper und denen, die ihn behandeln (German Edition)

Titel: Vertragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker?: Tragikomisches von unserem Körper und denen, die ihn behandeln (German Edition)
Autoren: Frederik Jötten
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Albtraum! Mein Mund ist trocken, ich nehme einen Schluck Wasser. Die Vorstellung, mich selbst auszusperren, ist seit Jahren der blanke Horror für mich.
    Der Traum geht dann immer so weiter: Ich klingele bei den Nachbarn. Sie haben eine Kopie unseres Schlüssels. Aber sie sind nicht da. Ebenso wenig die anderen Nachbarn im Haus. Normale Menschen arbeiten eben an einem Werktag um 12 Uhr. Warum ich es nicht auch tue, ist unlogisch, aber wir sind hier nun mal in einem Traum. Ich blicke an mir hinunter: Zum Glück ist meine Unterhose noch einigermaßen sauber, aber auf meinem T-Shirt sind kleine Ketchupflecken. Auf dem Weg zum Keller hätte das niemanden gestört. Aber jetzt wird es die ganze Stadt sehen. Denn es hilft nichts: Wenn ich wieder in meine Wohnung will, muss ich raus und Hilfe holen.
    In meinen Birkenstock-Schlappen irre ich durch die Stadt. Es ist kalt, ich schlottere am ganzen Leib. Leute drehen sich nach mir um, Kinder zeigen mit dem Finger auf mich, Gelächter. Ich suche nach einem Schlüsseldienst. Irgendwann finde ich einen Laden, der «Schlüssel zum Glück» heißt. Der Besitzer – ein übergewichtiger, glatzköpfiger Mann in rotem Overall – lächelt abschätzig, während er meine Ketchupflecken mustert. Dann hält er mir wortlos einen Vertrag unter die Nase. «Auftrag zum Aufbrechen der Wohnung. Haftung für Schäden wird ausgeschlossen. Kosten: 450 Euro. Zuzüglich Mehrwertsteuer.»
    Die Angst vor dem eigenen Aussperren hat sich bei mir über die Jahre zu einem neurotischen Verhalten gesteigert. Nicht nur werde ich jedes Mal nervös, wenn ich das Haus verlassen muss. Es dauert auch schlicht immer länger. Jedem Spaziergang geht ein mehrstufiger Sicherheitscheck voraus:
    Halte ich auch wirklich einen Schlüsselbund in der Hand und nicht vielleicht nur Fahrradwerkzeug? (schon passiert)
Ist es auch wirklich das richtige Schlüsselbund und nicht etwa das fürs Büro? (auch schon passiert)
Hängt der Haustürschlüssel auch wirklich am Schlüsselbund, oder ist er womöglich abgefallen? (siehe oben)
Ist der Haustürschlüssel noch fest genug am Bund, oder droht er womöglich unterwegs unbemerkt abzufallen, etwa in einen Gully? (bereits passiert, aber nicht in Gully)
Ist der Haustürschlüssel noch in einem guten Zustand, oder könnte er bei der nächsten Benutzung abbrechen? (beim Fahrradschloss schon vorgekommen)

    Es sind vor allem kleine Haushalts-Pflichtgänge, die für mich zur Mutprobe werden – weil dort die Macht der Bequemlichkeit besonders stark ist. Wer nimmt schon Portemonnaie und Handy mit in die Waschküche? Und warum sich überhaupt noch richtig anziehen, wenn man doch nur kurz zum Müllwegbringen in den Keller will?
    Zur Aussperrangst gesellen sich zunehmend andere Ängste, die ebenfalls mit dem Verlust der Wohnung zu tun haben. In letzter Zeit läuft es mir kalt den Rücken hinunter, wenn mir auf dem Nachhauseweg Feuerwehr- und Krankenwagen mit Blaulicht entgegenkommen. Habe ich die Herdplatte etwa angelassen?, denke ich dann. Obwohl ich mittlerweile vor dem Verlassen der Wohnung auch noch einen dreifachen Herdplattencheck durchführe.
    Das Leben mit Zwangsstörungen ist kein leichtes, vor allem nicht, wenn der Partner die gleichen Ängste hegt. In unseren Herdplatten-Neurosen stacheln wir uns häufig gegenseitig an, was die Anzahl der Sicherheitschecks noch erhöht und auch schon Wochenendausflüge ruiniert hat.
    Manchmal kollidieren Neurosen aber auch. Zum Beispiel, wenn mein Hamstertrieb auf ihren Schlendrian trifft. Nichts kann ich weniger leiden, als wenn zur Neige gehende Vorräte nicht rechtzeitig aufgefüllt werden. Halbleere Zahnpastatuben, die drittletzte Klopapier-Rolle, die vorletzte Milchtüte lassen in mir den Hamsteralarm schrillen. Und jedes Mal, wenn meine Freundin die Klopapier-Packung bis zur letzten Rolle laufen lässt, treibt sie mir die Schweißperlen auf die Stirn.
    Dafür kitzele ich – ausgleichende Gerechtigkeit – immer mal wieder auch ihre Nerven. Warum die Milch wegschütten, wenn lediglich ein paar weiße Flocken in ihr herumschwimmen?, denke ich beim Frühstückmachen oft. Dass meine Freundin eine zwanghafte Abneigung gegen jegliche Änderung des Aggregatzustands von Lebensmitteln pflegt, vergesse ich dann immer. Der «Bröckchenkaffee» ist bei uns schon oft zur Nagelprobe dafür geworden, was normal ist und was nicht. Eine eindeutige Antwort haben wir bis heute nicht gefunden, unser Freundeskreis ist darüber gespalten.
    Die klumpige Plörre hat uns
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