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Versunkene Inseln

Versunkene Inseln

Titel: Versunkene Inseln
Autoren: Marta Randall
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sich dagegen entschieden, ihn verändern zu lassen.
    Und ich? Schon als junges Mädchen der Schatten eines Monstrums? Rundlich und fest, eine dichte, kastanienbraune Haarmähne, die weich zu den Schultern hinabfiel und zu einem glatten Gesicht mit braunen Augen kontrastierte; einen Meter sechzig groß, fast so groß wie Paul. Das Kind in meiner Erinnerung war in den Fesseln seines Wesens genauso sprühend und gischtend und wogend wie das Meer. Ich schwebte im wahrsten Sinne des Wortes am Rande der Ewigkeit, als ich darauf wartete, daß sich mein Körper soweit stabilisierte, um den Immortalitätsbehandlungen unterzogen zu werden. Und währenddessen erfreute sich Paul noch an der Neuheit seiner eigenen Unsterblichkeit.
    Als die Zeit gekommen war, wanderten wir singend zur Klinik, und Paul ließ mich eine Woche lang dort. Sie bombardierten Körper und Hirn mit Chemikalien, Strahlungen und Leben und versuchten, die Sterblichkeit aus meinen Zellen zu tilgen – mit Methoden, die damals große Mysterien für mich darstellten und die ich seitdem bis zur Verzweiflung studiert habe. Vergebens. Paul wartete auf mich, als ich die Klinik verließ. Wir tollten im Himalaja herum, betrachteten den Sonnenuntergang über den Rocky Mountains und den Mondaufgang über den Pyrenäen. Wir verbrachten ganze Epochen der Entzückung in der maritimen Stadt Venedig. Ein Jahr später kehrte ich für die restlichen Behandlungen in die Klinik zurück, und sie behielten mich dort und testeten und testeten und sagten mir schließlich, es habe nicht funktioniert.
    Überhaupt nicht.
    Sie werden eine lange Zeit leben, ja, dafür sorgen wir. Aber nicht ewig, nein, es tut uns furchtbar leid. Wissen Sie, Sie sind einzigartig. Hundert Jahre vielleicht. Möglicherweise auch hundertfünfzig. Wir bedauern das sehr.
    Vielleicht zweihundert. Es ist gar nicht so übel, zweihundert Jahre zu leben. Es wird Ihnen sehr gutgehen, wissen Sie. Dafür sorgen wir. Wir bezahlen Sie dafür. Wir brauchen Sie. Genauso wie Sie uns brauchen.
    Es wird Ihnen sehr gutgehen.
    Aber die ewige Jugend ist Ihnen verwehrt.
    Wirklich bedauerlich.
     
    Und so ging ich nach einer Weile als Sterbliche fort, lebte auf dem Mond, verbrachte einige Jahre in der solaren Orbitalstation, zog dann auf den Mars um und kehrte als Frau in mittleren Jahren auf eine Welt der Jungen zurück. Ging wieder fort, zum Saturn, zur Venus, lebte in einsamen Vorposten an alptraumhaften Orten. Kam als Greisin zurück, kaufte dieses Haus an der Küste des Kontinents, arbeitete an dem Projekt und vertiefte mich in die komplizierte und umfassende Aufgabe, den Meeresgrund nach Artefakten der Vergangenheit zu durchwühlen. Lud Paul und seine Dame zu mir ein und erkannte den Schock in seinen Augen, als sie das Schiff verließen. Ich schritt ihnen entgegen, um sie zu begrüßen, und sah dabei die unausgesprochene Frage auf seinen Lippen: „Das ist die Frau, mit der ich vor so vielen Jahren schlief?“
    Nein, antwortete ich ihm in Gedanken. Sie gibt es längst nicht mehr, jene Frau mit dem glatten, rundlichen Körper und dem kastanienfarbenen Haar. Ich trage nur ihren Namen.
     

3
     
    Oft verdrängte ich für eine Zeitlang die Tatsache, daß sie mich wahrscheinlich nie richtig sterben lassen werden. Schließlich brauchen sie mich, jene, die sich der archaischen Wissenschaft der Gerontologie verschrieben haben. Ich sei die einzige meiner Art, sagen sie, und sie glaubten nicht, daß es nochmals jemanden wie mich gäbe. Und sie hatten sichergestellt, daß ich keine weiteren Sterblichen gebären konnte. Natürlich werden sie mich nicht einfach so aus dem Leben scheiden lassen. Ich bin dazu verurteilt, älter und älter zu werden und mit den Jahren dahinzuwelken. Bis ich als exotisches Ausstellungsstück im Keller eines. Museums ende, eingesperrt in einen Konservierungsbehälter, durch ein Wirr war von Drähten mit komplizierten Maschinen verbunden. Eine Legende, um unsere wenigen Kinder zu erschrecken und gehorsam werden zu lassen. Alptraumvisionen. Allerdings. Und eigentlich hätte ich deshalb mitten in der Nacht kreischend aus dem Schlaf fahren oder, unartikulierte Laute schreiend, an Deck der Ilium herumlaufen müssen. Aber die meisten meiner Kollegen waren bereits ausreichend über mich erschrocken, auch wenn sie fünfzig oder hundert fünfzig Jahre älter waren als ich. Sie begegneten mir mit Ehrfurcht. Sie glaubten, ich sei sehr weise, nur weil der Körper, in dem ich stecke, immer mehr verdorrt.
    Vor vielen
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