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Versunkene Inseln

Versunkene Inseln

Titel: Versunkene Inseln
Autoren: Marta Randall
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hierher zurückgebracht werden?“
    „Klar“, antwortet er. Die drei wechselten einen beiläufigen Blick – eine rasche, sexuelle Musterung, prüfend, taxierend, abschätzend. Was für eine einfache und unbeschränkte Sexualität diese Leute haben: Alles, was sich bewegt, wird gebumst. Und wenn das vielleicht auch nicht ganz zutraf, es war mir egal. Nun, ich bewegte mich ebenfalls, aber mich bumste niemand.
    „Raul Ambuhl, Jenny Crane“, sagte ich, vollendete damit die Vorstellung und ging zu meinem Wagen zurück. Paul folgte mir und legte mir die Hand auf den Arm. Ich starrte die Hand an, verblüfft von dieser Berührung, und ich wartete darauf, daß er sie hastig zurückzog und an seinem Umhang sauberwischte. Doch seine Hand blieb, wo sie war, und ich drehte mich zu ihm um.
    „Vielen Dank, Tia, daß du uns bei dir untergebracht hat.“
    „Keine Ursache.“ Ich versuchte, den Arm fortzurücken, doch er hielt ihn noch immer sanft umfaßt, befeuchtete die Lippen und fügte hinzu:
    „Sieh mal, haben wir irgend etwas falsch gemacht?“
    „Falsch?“
    „Weißt du, du bist nur so … nun … so schroff. Ich habe mich gefragt, ob wir vielleicht irgend etwas, nun, du weißt schon …“
    „Nein, ihr habt nichts verkehrt gemacht. Und jetzt gehst du am besten zu Tobias zurück, okay? Ich habe in einer Stunde eine Verabredung.“
    Ich glitt von ihm fort, kletterte in den Fahrersitz und startete den Rotor, bevor er eine Möglichkeit hatte, mir zu antworten. Ich ließ ihn auf dem Dock hinter mir zurück, und er starrte auf den von den Luftkissen aufgewirbelten Staub. Ich fuhr bis zum anderen Ende der Ortschaft, parkte und mietete einen Hüpfer für den kurzen Flug zum Festland. Ein paar Augenblicke verschwendete ich damit, mich über Pauls vermutliche Besorgnis aufzuregen, zuckte dann mit den Achseln und vergaß den Ärger. Ein weiterer Abend noch, dann war ich sie beide wieder los. Die Ilium stach am nächsten Morgen in See, und einmal an Bord konnte ich ihnen leicht aus dem Weg gehen. Flucht, dachte ich ironisch, heilt alles. Ich verbannte den Verdruß aus meinen Gedanken.
     

9
     
    Als mein Kummer über die Begegnung in der Arktis erträglicher und es offensichtlich geworden war, daß mir Paul nicht vom Hotel aus folgte, entwickelte ich einen Plan, der meinen betrübten und melodramatischen Gedanken in jeder Hinsicht perfekt erschien. Meine vorherigen Reisen waren auf die Erde beschränkt gewesen, dem ungeschriebenen Gesetz entsprechend, daß Jugendliche, die noch nicht alt genug für die Immortalitätsbehandlungen waren, auf dem Heimatplaneten bleiben mußten. Somit war der Mond ein Ort, den Paul und ich nie zusammen besucht hatten und der deshalb auch keine Erinnerungen für mich bereithielt. Paul würde nicht daran denken, mir dorthin zu folgen, nicht nach der letzten Auseinandersetzung inmitten der eisigen Schneewüste. Mit all der Dramatik der Jugend und besessen von dem in mir brennenden Zorn faßte ich den Entschluß, der Erde gänzlich den Rücken zu kehren. Und zwei Monate, nachdem ich die Klinik verlassen hatte, ging ich an Bord der Fähre, deren Ziel Luna-City war.
    Nach der Belastung durch den gedämpften Beschleunigungsschub genoß ich die darauf folgende Semigravitation des Shuttle. Ich hüpfte durch die Kabine, stieß mich leicht von den Wänden ab und segelte ungeschickt dahin. Die meisten anderen Passagiere blieben sitzen oder bewegten sich ganz vorsichtig. Sie umklammerten die an den Rückenlehnen der Sessel befestigten Handgriffe, um sicher zu sein, die ganze Zeit über an etwas Stabilem Halt finden zu können. Ich verachtete ihre krabbenartige Unsicherheit und sprang hochnäsig an ihnen vorbei.
    Ich schwebte in die Aussichtskabine hinein und glitt durch die Finsternis, bis sich mein Gesicht gegen das Betrachtungsfenster preßte. Die leichte Drehung der Fähre schien das Universum jenseits der schützenden Hülle rotieren zu lassen. Die Sterne trieben in einem majestätischen, nicht enden wollenden Tanz dahin. Ich versuchte, den gelben Schimmer der Raumstation ausfindig zu machen, doch während dieser Etappe der Reise lag sie direkt vor dem Bug der Fähre und konnte deshalb vom Betrachtungsfenster aus nicht gesehen werden. Ich klammerte mich ganz fest an das Geländer, wie verzaubert von der Pracht der Sterne, deren Licht nun von keiner Atmosphäre mehr gefiltert wurde. Und dann, als Teil des kosmischen Balletts, kroch der Mond am schwarzen Samt empor, erstaunlich hell und klar, pockennarbig,
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