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Versunkene Inseln

Versunkene Inseln

Titel: Versunkene Inseln
Autoren: Marta Randall
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Händen, und ich spürte die heftigen Stöße, wenn die Luftkissen auf plötzliche Unebenheiten stießen, den Wind, der mir durch die Haare fuhr. Ich muß mich wie eine vollkommen Verrückte gebärdet haben, denn Paul und Jenny waren kalkweiß und steif, als wir durch die vorletzte Kurve fuhren, und ich gab plötzlich Gegenschub und lenkte den Wagen an den Straßenrand.
    „Da ist sie“, sagte ich und deutete hinaus aufs Meer. Langsam löste sich ihre entsetzte Starre. Sie blickten in die Richtung, die mein ausgestreckter Arm anzeigte, entdeckten die Ilium und hielten den Atem an.
    Man stelle sich einen Eisberg vor: an Bug und Heck spitz zulaufend, breit in der Mitte, von der Wasserlinie bis zu den Decks steil und glänzend aufragend. Unterhalb der Wasserlinie, unsichtbar, die Rumpfausbuchtung mit den Antigravitoren, den Generatoren und Strahlern, mit der gesamten Antriebs- und Flugmaschinerie. Doch das Ober schiff war ein weißer Traum, gemeißelt von einem Bildhauer mit überschwenglicher Phantasie. Die Ilium ist eine sich steil erhebende, strahlende Kathedrale, mit Stützstreben wie Zinnen, ein kristallenes Schloß. Ein schwimmendes Juwel, ein Palast, eine materialisierte Vision. Dreihundert Jahre andauernde Bastelarbeit von Unsterblichen hatte aus einem schlichten, weißen Grav-Schoner eine Gestalt gewordene Illustration aus einem der alten phantastischen Märchenbücher gemacht, und nur die Trennungslinie des Rumpfes begrenzte die surrealistisch-bizarre Architektur der Decks. Das junge Licht des Morgens sprühte über Fenster und Metallbögen, strömte an weichen Flanken entlang, prallte gegen in sich verdrehte Ecken, funkelte hier in einem Minarett, und glänzte auf einer Reihe von schmiedeeisernen Baikonen. Treppen schraubten sich wie endlos in die Höhe. Irgendwo begannen plötzlich Kolonnaden und fanden genauso unerwartet wieder ein Ende. Flaggen in allen möglichen Farben wehten auf jedem Turm und Minarett, von jeder Zinne und Spirale. Die Ilium war wie eine stolze Regenbogenperle, die etwa einen Kilometer vor der Küste in den silbernen Wogen schwamm. Meine Passagiere starrten mit offenem Mund hinüber. Und zum Dank für ihre Ehrfurcht fuhr ich den Wagen während des restlichen Kilometers bis zum Dock sehr langsam und vorsichtig.
    Dort angekommen, schaltete ich den Rotor aus. Paul und Jenny kletterten schweigend aus dem Wagen, schlangen die Arme umeinander und starrten auf das Schiff. Tobias saß mit dem Rücken gegen den Metallbogen des Dockzugangs gelehnt, richtete sich nun auf und kam uns entgegen. Einen Meter vor uns blieb er stehen, überließ Paul und Jenny ihrem Staunen und sah mich finster an. Ich erwiderte diese freundliche Geste.
    Hübscher Tobias. Dichte Locken aus goldenem Haar, ein Gesicht ganz in griechischem Profil, die Augen tiefblau. Sonnengebräunt, reizvoll, sinnlich. Wenn er angezogen war – und für einen Unsterblichen war er erstaunlich oft angezogen –, trug er ausgewaschene, verfranste Hosen und schmierige, fleckige Hemden. Und er glaubte, dieser Kontrast unterstreiche seine Attraktivität. Was auch tatsächlich der Fall war. Tobias haßte mich. Vielleicht war ich ein zu krasser Kontrast. Vielleicht erinnerte ich ihn an die Unbeständigkeit, die ihm abhanden gekommen war. Aus welchem Grund auch immer: Tobias haßte mich, und ich empfand diesen Haß als erfreuliche Abwechselung angesichts der höflichen und unbehaglichen Masken der anderen Unsterblichen. Wäre Tobias klar gewesen, wie sehr ich seine Abneigung genoß, so hätte er sie wahrscheinlich ab sofort nicht mehr gezeigt. Doch ich hatte nicht die Absicht, mir dieses kleine Vergnügen nehmen zu lassen. So bestätigten wir schweigend unsere gegenseitige Antipathie und standen wortlos neben den beiden hingerissenen Novizen in der heißen Julisonne. Er senkte als erster den Blick.
    „Kommst du heute aufs Schiff?“ frage er barsch und starrte auf etwas, das jenseits meiner linken Schulter lag.
    „Nein, ich habe heute noch zu tun. Morgen früh bin ich pünktlich da. Werde ich gebraucht?“
    „Ganz und gar nicht“, erwiderte er und lächelte wie ein verdrießliches Kind, das in irgendein Geheimnis eingeweiht ist. Er wußte verdammt gut, daß heute mein regulärer Ausbesserungstag war. Ich wandte mich angewidert von ihm ab und sprach Paul und Jenny an.
    „Das ist Tobias Gamin. Er wird euch zur Ilium bringen, euch ein bißchen herumführen und den Leuten vorstellen. Tobias, sorgst du bitte dafür, daß sie zum Abend wieder
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