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Versprechen der Nacht

Versprechen der Nacht

Titel: Versprechen der Nacht
Autoren: Lara Adrian
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erwachenden Gefühlen und Empfindungen gemacht, anstelle von Rationalität, Angst und Misstrauen, die man mir von Kindheit an eingebläut hatte.
    Er bedeutete mir etwas.
    Wenn ich jetzt nicht verdammt auf mich aufpasste, würde ich mich noch Hals über Kopf in ihn verlieben.
    »Hast du einen Ort, wohin du gehen kannst?«, fragte ich ihn. Ich musste meine Gedanken wieder auf unsere aktuelle Lage lenken. »Es ist für uns beide nicht sicher, länger auf der Straße zu bleiben als unbedingt nötig.«
    Er nickte grimmig. »Es gibt eine verborgene Enklave meiner Spezies in dieser Region des neuen Kontinents. Sie wurde von den Menschen noch nicht entdeckt. Bisher ist noch nie ein Mensch je in der Nähe ihrer Siedlung gewesen, aber wenn ich sie darum bitte, werden sie uns Zuflucht gewähren.«
    Ich war nicht sicher, ob ich mich wirklich auf den Schutz der Sonderbaren verlassen wollte, aber das sagte ich ihm nicht. »Weißt du, wo genau sie sind?«
    »Die Gegend hieß früher Colorado.«
    »Das ist nicht weit von hier«, sagte ich, erkannte den alten Namen aus der Zeit lange vor meiner Geburt, als das ganze Land von unsichtbaren Grenzen durchzogen wurde, die Regionen, welche Bundesstaaten genannt wurden, voneinander abtrennten oder zusammenfassten. »Ich kann dich hinbringen.«
    Drakor schien einen Augenblick darüber nachzudenken. »Im Südwesten dieser Region sind uralte Siedlungen in einen Berghang gebaut. Dort lebten früher Menschenstämme, bevor ihre modernen Brüder sie vertrieben und die Region unter Naturschutz stellten. Jetzt wohnen die Sonderbaren darin.«
    Ich nickte und sah wieder auf die Straße hinaus. Obwohl ich noch ein paar Stunden fahren wollte, bevor wir eine Ruhepause einlegten, waren meine Arme schwer, und vom angestrengten Starren in die Dunkelheit brannten mir die Augen.
    »Ich habe ein paar alte Straßenkarten hinten im Laster«, sagte ich. »Vielleicht sollten wir kurz anhalten und schauen, ob wir den Ort finden, wo deine Leute sind.«
    Drakor nickte zustimmend. Ich drosselte das Tempo und fuhr von dem verlassenen alten Highway herunter, auf ein dichtes Waldgebiet zu, das etwa hundert Meter von der Straße entfernt lag.

5
    Ich zündete eine Laterne an und brachte sie zu Drakor hinüber, der eine der uralten Straßenkarten studierte, von denen ich immer einen kleinen Stapel in meinem Laster hatte. Ich setzte mich neben ihn auf den Boden.
    »Jetzt sind wir etwa hier«, sagte ich und zeigte auf das Gebiet bei einer Geisterstadt, die vor einigen Hundert Jahren Flagstaff geheißen hatte. Ich fuhr mit dem Finger über die Karte, und seine scharfen Augen folgten dem diagonalen Pfad nach Nordosten, den ich auf dem abgewetzten und brüchigen Papier zog. »Das ist die alte Staatsgrenze von Colorado. Die Gegend, von der du mir erzählt hast, müsste ungefähr hier in dieser Ecke sein. Die Straßen dorthin sind nicht im besten Zustand. Mit dem Laster dürften wir einige Tage dafür brauchen.«
    Als er zu mir aufsah, spürte ich in seinen beunruhigenden Augen eine Frage brennen.
    Langsam schüttelte ich den Kopf, antwortete ihm, noch bevor er mich fragen konnte. »Ich werde nicht dort bleiben, wenn wir angekommen sind. Das kann ich nicht. Ich bin ein Mensch, und ich gehöre nicht dazu.«
    Er runzelte die schwarzen Brauen. »Und wenn ich sage, ich möchte gern, dass du bleibst? Wenn ich es befehle?«
    Ich lächelte, wider Willen über seinen besitzergreifenden Befehlston erfreut. »Ich würde dich daran erinnern, dass du vielleicht König der Sonderbaren bist, aber ich keine deiner Untertanen bin.«
    Er streckte die Hand aus und legte sie an meine Wange. »Was, wenn ich dir sage, dass ich dich in ein paar Tagen vielleicht gar nicht mehr gehen lasse?«
    Ich widerstand nur knapp der Versuchung, mein Gesicht in seine warme Handfläche zu schmiegen. Mit einer Kraft, von der ich gar nicht gewusst hatte, dass ich sie besaß, entzog ich mich ihm und wandte meine Aufmerksamkeit wieder der ausgebreiteten Karte zu. »Wir müssen tanken, je eher, desto besser. In den Dörfern findet sich meistens jemand, der einen oder zwei Kanister Benzin eintauscht gegen …«
    »Nisha.« Er zog mir die Karte weg und warf sie beiseite, zwang mich, ihn anzusehen. »Wenn du meine Hilfe nicht annimmst, wohin willst du dann gehen? Du kannst nicht in dein altes Zuhause zurück. Dein altes Leben ist vorbei.«
    »Ich weiß«, sagte ich. »Ich kann nicht zurück zu allem, was vorher war. Was heute Nacht passiert ist, wird sich schnell
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