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Versprechen der Nacht

Versprechen der Nacht

Titel: Versprechen der Nacht
Autoren: Lara Adrian
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Dunkelheit hinausstarrte. Er musste so erschöpft sein wie ich; auf der Fahrt aus Port Phoenix heraus hatte er mir gesagt, dass er körperlich geschwächt war, weil er während seiner Gefangenschaft weder Essen noch Wasser bekommen hatte. Das Ausbrechen aus der Kiste hatte ihm dann den Rest gegeben.
    Aber ich wusste, dass er nicht wegen seiner körperlichen Erschöpfung so still und grüblerisch war. Etwas lag ihm schwer auf der Seele.
    »Ich bin okay«, sagte ich zu ihm. »Und wir müssen weiterfahren.«
    »Nein, Nisha.« Aus den Augenwinkeln sah ich, wie er die dunklen Brauen über seine intelligenten kanariengelben Augen senkte. »Ich will, dass du dich ausruhst. Such uns einen Platz zum Anhalten. Jetzt gleich.«
    In seiner Stimme lag ein befehlender Ton, und fast hätte ich ihm instinktiv gehorcht. Aber nur fast. »Wir können es uns nicht leisten, Rast zu machen, bevor wir den Männern meines Kunden weit genug davongefahren sind. Sie verfolgen uns womöglich immer noch und holen auf. Wir müssen Strecke machen.«
    Er streckte die Hand aus, und seine starken, gepflegten Finger schlossen sich eisern über meiner Hand, die das Lenkrad umklammerte. »Nisha, wir halten jetzt, und du ruhst dich aus. Das ist keine Bitte.«
    Ich starrte ihn mit offenem Mund an, verblüfft über seine Arroganz. »Eben hatte ich hier noch das Sagen. Solange nicht eben jemand gestorben ist und dich zum König erkoren hat, setzt du dich jetzt wieder hin und lässt mich das machen.«
    Er nahm seine Hand von meiner, und schlagartig bedauerte ich die Leere, die sie hinterließ. Drakor lehnte sich in seinem Sitz zurück und sah aus dem Fenster. »Mein Vater ist vor 157 Jahren gestorben, nach Jahrhunderten gerechter, friedlicher Herrschaft.«
    Ich warf ihm einen scharfen Blick zu. »Ach? Sagst du da eben, was ich denke, was du sagst?«
    Er seufzte reumütig und sah wieder zu mir herüber. »Der Tod meines Vaters machte mich zum König der Sonderbaren. Oder hätte mich dazu gemacht, wenn ich würdig gewesen wäre, diese Verantwortung zu übernehmen. Jeder meiner älteren Brüder wäre viel besser geeignet gewesen, aber sie sind beide im Kampf gegen die Menschheit gefallen, noch bevor mein Vater seinen letzten Atemzug tat. Ich war damals nur ein dummer Junge, unfähig, zu herrschen.«
    Ich kam in eine Spurrille in der kaputten alten Straße und hatte alle Mühe, meinen schlingernden Laster wieder unter Kontrolle zu bekommen. Sobald ich es geschafft hatte, starrte ich ihn ungläubig an. »Wenn du in all dieser Zeit den Platz deines Vaters nicht eingenommen hast, wer dann?«
    »Ich war zwölf, als ich meine Macht seinem Hof übergeben habe. Damals glaubte ich, unserer Spezies wäre mit einem anderen als mir besser gedient.« Er stieß ein leises, sarkastisches Knurren aus. »Offenbar wollte jemand in meiner Heimat sichergehen, dass ich meine Meinung nie mehr ändere. Ich vermute, jemand am Hof hat mich an deinen Auftraggeber ausgeliefert.«
    Ich war aufgebracht – nicht nur von dem Gedanken, dass Drakor von einem seiner eigenen Leute verraten und verkauft worden war, sondern auch deswegen, weil er seine Lage so bereitwillig akzeptiert hatte. »Also willst du lieber sterben, als zu riskieren, als König zu versagen?«
    Er sah mich lange an, und tief in seinen goldenen Augen schien sich ein Sturm zusammenzubrauen. »Das
wollte
ich.«
    »Und jetzt?«, fragte ich ihn.
    »Es hat sich viel verändert, seit ich in diese Kiste gesperrt und über den Ozean an diesen Ort verschifft wurde, Nisha. Jetzt fange ich plötzlich an, so einiges zu hinterfragen.«
    Obwohl er nachdenklich und schwer zu durchschauen war, spürte ich, wie unter seinem ruhigen Auftreten Entschlossenheit aufflackerte. Er wäre zweifellos ein gefährlicher Gegner. Mit seiner Güte und seinem scharfen Verstand würde er einen Respekt einflößenden, aber fairen Herrscher abgeben.
    »Mir scheint, du könntest deinem Volk besser dienen als der Anführer, den es braucht, Drakor, und nicht als Märtyrer.«
    »Ach ja?« Ein kleines Lächeln kräuselte seinen sinnlichen Mund. »Ich denke, du bist vielleicht weiser als meine ganzen langlebigen Ratgeber, Nisha die Herzlose.«
    Aus irgendeinem Grund, über den ich nicht genauer nachdenken wollte, traf es mich irgendwie, dass er mich bei meinem Spitznamen nannte, auf den ich so lange so stolz gewesen war. Ich war nämlich gar nicht herzlos – jedenfalls nicht, was ihn anging. Ich sah Drakor an und fühlte mich, als wäre mein ganzes Wesen aus
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