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Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Titel: Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
Autoren: Miklós Bánffy
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Extremisten darum, weil man die verhasste Trabanten-Regierung gebrandmarkt hatte, die Minister wiederum darum, weil sie der Forderung ausgewichen waren, deren Erfüllung für sie ausgeschlossen gewesen wäre. Doch am Morgen dieses Tages schlug die Bombe ein. Ein groß aufgemachter Artikel war im Wiener Fremdenblatt erschienen, das als Sprachrohr des Hofes galt. Unter der Form eines Berichts aus Budapest wurde darin ausgeführt, dass der tags zuvor gefasste Beschluss »umgestaltet werden soll«, da es doch widersinnig sei, dass diejenigen, die das Vertrauen des Herrschers besaßen, vor aller Welt an den Pranger gestellt werden sollten; und dann folgte noch eine Nachricht »aus Fejérvárys Umgebung«, wonach er an der nächsten Sitzung des Oberhauses das Wort ergreifen und Einzelheiten des Paktes benennen werde.
    Nicht mehr. Nur so viel.
    In der Kammer herrschte gedrückte Stimmung. Dies nicht nur darum, weil wegen des herbstlichen Wetters der von einem Glasdach gedeckte Raum im Dunkel lag. Das elektrische Licht auf den Pressetribünen und Galerien machte ihn wohl noch dunkler, es ließ die vielen Verzierungen aus künstlichem Marmor und die falschen Vergoldungen nur hier und dort erglänzen; die bemalten Gipsfiguren in der Höhe wiederum waren kaum noch sichtbar. Einzig das graue Haar des Vortragenden auf dem Podium setzte einen Farbtupfer. Die Abgeordneten hielten es für geziemend, während der Sitzung im Saal zu bleiben, aber jedermann hing seinen Gedanken nach. Den wohlformulierten Sätzen des Redners lauschten sie kaum. In den verschiedenen Gruppen der 48-er, in den Bänken der Verfassungs- und der Volkspartei, überall steckten fünf bis sechs Männer die Köpfe zusammen und besprachen flüsternd die neueste Wendung, die im Fremdenblatt zwischen den Zeilen versteckte Drohung.
    Ferenc Kossuth und Justizminister Polonyi berieten leise, aber aufgeregt mit Visontai, der tags zuvor den Text des Beschlusses aufgesetzt hatte. Einzig Wekerle 6 lehnte sich im Sessel des Ministerpräsidenten in breiter Ruhe zurück und wandte sein schönes, an einen römischen Imperator gemahnendes Gesicht dem Vortragenden zu. Der Staatshaushalt war sein Werk, vielleicht erfreute er sich jetzt daran. Er galt auch im Übrigen als ein Mann mit starken Nerven, der schon manchen Sturm gesehen hatte.
    Trotzdem, was für eine veränderte Welt, dachte Bálint Abády, der als parteiloser Abgeordneter gegenüber dem Präsidium in der Mitte in der oberen Bankreihe saß. Welch ein Sturm hätte hier bei diesem Thema vor anderthalb Jahren noch getobt. Wie wäre ein Redner nach dem anderen aufgesprungen, wie hätten sie in ihren schallenden Voten vor der Tagesordnung das fluchbeladene Wien und die finstere Kamarilla gegeißelt. Womöglich hätte auch der Vorsitzende selber die unrechtmäßige Einmischung »einer fremden Zeitung« zur Sprache gebracht. Jetzt sind sie schon realistischer geworden, sie rechnen mit den tatsächlichen Verhältnissen. Vielleicht lernen sie ihre Lektion … Unter solchen Gedanken hörte er den Worten des Redners zu.
    Gegen Ende des Referats kam ein Mann von den Bänken der 48-er herüber und nahm neben Abády Platz: Dr. Zsigmond Boros, Anwalt, Abgeordneter von Marosvásárhely. Seine Karriere hatte so schön begonnen. Nach den Wahlen 1904 war er einer der Wortführer der äußersten Linken. Bei der Bildung der Koalitionsregierung wurde er Staatssekretär in Kossuths Ministerium. Nach kaum zwei Monaten trat er aber plötzlich und ohne ersichtlichen Grund zurück. Ein Gerücht ging um, etwas stimme nicht in seiner Anwaltspraxis. Bestimmtes wusste oder sagte zwar niemand, aber seither behandelte ihn jedermann kühl, denn man sah damals in der Politik wohl vieles nach, in Fragen der persönlichen Ehrbarkeit herrschte aber äußerste Strenge. Boros erschien seit seinem Rücktritt selten im Parlament; vielleicht hielt er sich andernorts auf, vielleicht war er damit befasst, seine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen. Vor zwei Tagen hatte er sich wieder eingestellt. Abády machte die Beobachtung, dass sich Boros schon seit Beginn der Sitzung immer wieder einer Gruppe zuwandte und leise etwas erklärte, um sich dann zu einer anderen zu gesellen. Jetzt hatte er sich neben ihn gesetzt. Gewiss mit Absicht.
    In der Tat, kaum hatte der Vorsitzende mit der Anordnung von zehn Minuten Pause der soeben verklungenen Rede die Ehre erwiesen, als Boros sich an Abády wandte: »Ich möchte mit dir ein paar Worte wechseln.«
    Unter den
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