Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Titel: Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
Autoren: Miklós Bánffy
Vom Netzwerk:
Abgeordneten, die hinausströmten, betraten sie den Korridor und gingen hinüber zu dem geräumigen, aber dunklen Gesellschaftsraum, in dem die Diwane, voneinander durch Säulen und Wandverkleidungen getrennt, geradezu für Verschwörer eingerichtet zu sein schienen. Sie setzten sich auf das äußerste Kanapee.
    »Ich möchte dich in einer wichtigen Angelegenheit des Landes um Rat bitten«, so begann Boros die Unterhaltung. »Ich bin schwer besorgt, und ich weiß nicht, welchen Weg die Pflicht mir weist. Ich muss etwas weit ausholen, auf die Umstände meines Rücktritts zurückgreifen.«
    Bálint ging jäh durch den Sinn, was er darüber vernommen hatte. Es war freilich nichts Gesichertes, nicht mehr als vage Verdächtigungen, und jetzt, da er mit dem anderen zusammensaß, fragte er sich, ob sie wohl der Wahrheit entsprachen. Ihm fiel es schwer, daran zu glauben.
    Er war ein schöner Mann, Zsigmond Boros. Keine Falte durchzog seine hohe Marmorstirn, er blickte geradeaus und ruhig, ein wohlgepflegter, rötlicher, spatenförmiger Bart umrandete sein blasses Gesicht. Mit all dem machte er einen vorzüglichen Eindruck. Abbruch tat nicht einmal, dass er sich etwas ungewöhnlich modisch kleidete, was bei einem Provinzanwalt eher unerwartet wirkte. Mit seiner wohltönenden, samtenen Stimme kam Boros auf den Artikel des Ministers Vörös zurück, von dem vorhin die Rede war.
    »Du warst damals nicht hier?«, fragte er.
    »Nein«, antwortete Abády verschlossen, »ich hielt mich im Ausland auf.«
    »Stimmt, ich hatte gehört, du seiest in Italien. Du erlaubst mir also, den Sachverhalt kurz zu beschreiben.«
    Er berichtete, dass im Artikel des einstigen Ministers der Trabanten-Regierung die Behauptung stehe, man habe sich bei den Verhandlungen darauf geeinigt, zur Schaffung des Gesetzes über das allgemeine Stimmrecht ein »Ad-hoc-Kabinett« zu bilden, und zwar einzig aus Mitgliedern der 48-er Partei und der früheren Regierung. László Vörös hätte Ministerpräsident werden sollen. Der frühere Minister behauptete sodann, dass dies auch von Ferenc Kossuth akzeptiert worden sei.
    »Da habe ich Kossuth aufgesucht. Ich wollte klarsehen, worauf ich als sein Staatssekretär, das heißt als Vertrauensmann, ein Anrecht hatte. Kossuth räumte ein, dass ein Plan dieser Art zur Sprache gekommen sei, aber er habe das bloß im Sinn von ad referendum betrachtet. Da aber die beiden anderen Parteien der früheren Opposition, die Verfassungs- und die Volkspartei, bis dahin beide Gegner des allgemeinen Wahlrechts, der Reform des Wahlsystems als Grundlage zugestimmt hatten, so liege es auf der Hand, dass jede andere Kombination gegenstandslos geworden sei. Da nun zeigte mir Kossuth den Text des Pakts. Und deswegen beschloss ich zurückzutreten, und nicht wegen der Verleumdungen, die, wie ich höre, gegen mich angeführt und vor allem seit meinem Ausscheiden aus dem Amt verbreitet werden. Weil ich den Grund meines Abgangs nicht nennen konnte, ist es naheliegend, dass ihn ›gewisse Kreise‹ mit solchen Dingen erklären wollen«, fügte er mit Nachdruck hinzu.
    Boros hielt in seiner Rede für einen Augenblick inne, als warte er auf eine Äußerung Bálints. Dann fuhr er fort: »Einen Pakt gibt es also sehr wohl. Und Kossuth hat gestern im Ausschuss – sagen wir es auf die feine Art – eine Darstellung der Fakten riskiert, die der Wirklichkeit nicht in allem entspricht. So stehe ich also vor der Frage, ob es erlaubt sei, dergleichen zu dulden. Ist es erlaubt, das Land in dieser irrigen Annahme zu belassen? Besteht nicht die Pflicht, dem Irrglauben, in dem die Öffentlichkeit lebt, ein Ende zu setzen? Habe nicht gerade ich diese Pflicht? Ich bin durch nichts gebunden. Schweigen habe ich nicht gelobt. Es trifft zwar zu, dass ich damals im Amt stand, aber das ist eine politische, keine dienstliche Angelegenheit. Wenn ich jetzt die Sache im Parlament zur Sprache bringe, dann stürzt die Regierung wie ein Kartenhaus in sich zusammen.«
    Boros blickte Bálint abermals fragend an.
    »Warum wendest du dich gerade an mich?«, erkundigte sich Bálint.
    »Weil ich dich für einen Mann halte, der selbständig denkt und einen breiteren Horizont besitzt als die meisten. Ich kenne auch die Arbeit, die du in Siebenbürgen im Interesse der Genossenschaften auf dich genommen hast, und ich schätze sie hoch. Erlaube mir kurz zu skizzieren, wie ich die heutige Lage sehe. Warum ich diesen Zustand für schädlich, womöglich für fatal halte.«
    Nun entfaltete
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher