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Verschärftes Verhör

Verschärftes Verhör

Titel: Verschärftes Verhör
Autoren: Jenny Siler
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Spiel, ein Scherz, den nur sie beide verstanden. Sollen sie doch glauben, dass wir hier drinnen etwas aushecken.
    Doch Jamal hatte es nicht eilig. Nachdem der Amerikaner gegangen war, saß er allein in der Wohnung und sah der Frau beim Kochen zu. Das hatte er sich nie zuvor gestattet, und obgleich sie weder jung noch schön war, kam es ihm schmutzig vor. Pornographisch. Doch Jamal konnte nicht anders.
    Die Dunkelheit machte ihn mutig, und er rückte den Stuhl näher ans Fenster. Im grellen Halogenlicht der Küche leuchtete die abaya der Frau wie ein Granatapfel. Der Stoff bewegte sich, während sie ihrer Tätigkeit nachging, rührte und hackte und den Tisch deckte. Sie war so nah, die Kluft zwischen ihnen so schmal, dass Jamal sich einen Augenblick vergaß und dort drüben bei ihr war. Dann kam jemand unten die Straße entlang, ein einsamer Sänger, die Stimme ölig von zu vielen Gläsern Sherry.
    Ich kann immer zurückgehen, dachte Jamal, nach Tanger oder Casablanca. Sogar nach Ain Chock. In Marokko würden ihn die Amerikaner kaum suchen. Wenn doch, würden sie ihn nicht so leicht finden. Doch er wusste, dass er sich nicht dazu überwinden konnte, noch nicht.
    Die Wahrheit? Sag ihnen nie die Wahrheit, hatte Harry ihn einmal gewarnt. Sie werden sie gegen dich verwenden. Auf einmal vermisste Jamal ihn mit einer Verzweiflung, die er sich selten erlaubte. Wenn Mr Harry hier wäre, würde er wissen, was zu tun war. Sie würden es gemeinsam regeln. Dann wäre es aber auch nie so weit gekommen.
    Der Sänger war vorübergegangen. Die Verdial-Melodie verklang in den verwinkelten Straßen des Viertels, die Worte verschwammen bis zur Unkenntlichkeit. Einen Moment lang war es still, dann meldete sich das Baby wieder.
    Nein, sagte sich Jamal und kämpfte mit den Tränen, während er den Hunderteuroschein in der Hand drehte. Er hatte damit angefangen und würde es durchstehen müssen. Wenn er klug vorging, könnte es sogar klappen. Nun, da er wusste, wie viel den Amerikanern an Bagheri gelegen war, würde er mehr als das übliche Handgeld verlangen.

2
London
    Auf der Uhr in Coopers Bar im Bahnhof King’s Cross war es kurz vor acht. Zeit genug, dachte David Kurtz, als Colin Mitchell mit dem gesunden rechten Arm seine Tasche über die Schulter hängte und zur Theke ging, um noch ein Bier zu trinken, bevor er den nächsten Zug nach Norden nahm.
    Das Coopers war ungemütlich, doch hatte die Schäbigkeit der Kneipe auch etwas für sich. Eine gute Bahnhofskneipe sollte gar nicht schön sein. Die Verkommenheit machte einen Teil ihres Reizes aus und lenkte von der Scham der Gäste ab – Männer, die sich betäubten, bevor sie irgendwohin fuhren, wo sie gar nicht sein wollten.
    Von seinem Platz ganz hinten sah Kurtz, wie Colin sich auf einen freien Hocker an der Theke zwängte und seine Bestellung über den Lärm hinwegbrüllte. Vor zwei Jahren waren sie sich zuletzt begegnet, in jener Nacht im Lager der Spezialkräfte von Bagram. Zwei Jahre waren nicht viel, und doch hatte sich der andere Mann seither zutiefst verändert.
    Der Barkeeper stellte ein Bierglas hin. Colin beugte sich darüber und schaute dabei zum Fernseher. Kurtz wusste, dass er den Blick in den Spiegel hinter der Theke vermied. Den Anblick seines steifen linken Arms, der leblos herabbaumelte. Hand, Gelenk und Ellbogen, die auch nach zwei Jahren noch immer nicht zu ihm zu gehören schienen.
    Doch Colins Verwandlung ging über das rein Körperliche hinaus. Durch die Verletzung schien sein ganzer Körper geschrumpft. Während Kurtz die unbeholfenen Bewegungen und den gebeugten Rücken betrachtete, überkam ihn eine ungeheure Befriedigung, als wäre ihm auf irgendeine Weise Gerechtigkeit geschehen.
    Colin wandte sich vom Fernseher ab und ließ die Blicke durch den Raum schweifen. Kurtz kannte die Bewegung. Sie war vorsichtig und forschend, der Blick eines Mannes, der sich beobachtet fühlte.
    Colin schaute zu ihm herüber und hielt inne, sein Ausdruck wechselte von Verwirrung zu Verachtung. Wie oft hatten er und die anderen Soldaten Kurtz auf diese Weise angeschaut, mit unauslöschlicher Verachtung. Kurtz musste unwillkürlich lächeln.
    »Mitchell?« Er winkte, gab sich überrascht und stand auf. Er drängte sich durch die Menge zur Theke. »Dachte ich’s mir doch!«
    Falsche Freundlichkeit hatte ihm nie gelegen. »Was zu trinken?«, schlug er vor und quetschte sich neben Colin. Er schlug ihm auf den Rücken und bestellte eine Runde. »Um der alten Zeiten
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