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Verrückte Zeit

Verrückte Zeit

Titel: Verrückte Zeit
Autoren: Kate Wilhelm
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müssen den Test verschieben, Sir«, sagte er. »Wir werden einen Fahrer bestellen, damit er Sie …«
    Betont auffällig zog Trigger Happy sein Feuerzeug heraus und ließ es aufschnappen. Es blitzte auf wie ein Flammenwerfer. »Scheiße«, sagte er und zündete sich seine Zigarre an.
     
    Lauren saß in Peter Waycross geräumigem Büro, mit einem Glas Scotch in der Hand, während ihre drei Kollegen geschäftig umherhuschten. Peter betrachtete sie mit glutvollen Augen. Er war fast einsneunzig groß und wundervoll kräftig gebaut; er war ständig sonnengebräunt, wofür er mit regelmäßigen Kurzurlauben auf seinem kleinen Anwesen auf dem Land sorgte. Das kleine Anwesen lag auf der Insel Oahu. Peter hatte leuchtend blondes Haar und strahlend blaue Augen; er war der farbenprächtigste Gegenstand im ganzen Büro. Alles andere war in gedämpften Farben gehalten: abgetöntes Weiß oder Elfenbeinfarbe, aus Glas oder Metall mit matter Oberfläche.
    »Meine liebe Lauren«, sagte Peter. »Ich beneide Sie. Ich beneide Sie wirklich. Ein wahrhaftiger Fall von menschlicher Selbstentzündung!«
    »Ach, Peter, guter Freund«, sagte Warren Foley herzlich, »wir sollten nichts überstürzen, meine ich. Es gibt keine Anzeichen von Versengung, keinen Rauch, nichts dergleichen. Ich habe mich etwas umgesehen, wissen Sie, bevor der Sicherheitsdienst auftauchte und die Polizei auf den Plan rief.«
    »Keine Presse, keine Sensation«, fuhr Peter fort und ging nicht auf ihn ein. »Keine Verletzung des guten Geschmacks, das versteht sich von selbst. Schließlich ist ein Mann zu Tode gekommen. Das ›Allgemeine Organ für Medizin und Psychologie‹, das ist die Zeitschrift, die das richtige Forum für uns bietet. ›Ärztin der Waycross-Klinik …‹ oder sollte es besser heißen: Psychotherapeutin? Aber das sind Details.«
    Rich Steinman räusperte sich. »Peter, meinen Sie, ich könnte jetzt nach Hause gehen? Ich habe von dem Ganzen nichts gesehen, und meine Frau wird sich langsam Sorgen machen, wie sie es immer macht, Sie wissen schon, und ich sehe eigentlich keinen Sinn darin, daß ich noch hierbleibe, da ich der typische unschuldige zufällig Vorbeigekommene bin, und ich bin sogar nicht einmal tatsächlich vorbeigekommen, da ich schon vorher im Büro war …« Rich Steinman führte einen Satz niemals zu Ende, wenn er es irgendwie vermeiden konnte.
    Peter spreizte die Hände, was eine seiner gewinnendsten Gesten war. »Sie wissen alle, meine Lieben, Sie wissen, wenn es nach mir ginge, wären Sie alle längst zu Hause. Es ist immer strapaziös, wie unschuldig man auch sein mag, eine Rolle im Spiel des Grauens zu spielen. Doch die Polizei in ihrer unerforschlichen Weisheit hat anders entschieden, und deshalb müssen wir warten, bis sich das Rad der Gerechtigkeit einmal dreht und dann noch einmal und noch einmal.«
    Lauren hörte sie wie aus weiter Entfernung und als ob sie durch Röhren sprächen. Wenn sie sich auf die Worte konzentrierte, begriff sie deren Inhalt; wenn sie ihre Aufmerksamkeit abschweifen ließ, nahm sie nur noch Geräusche wahr und fühlte sich in eine dunkle Höhle versetzt, die nur Platz für eine einzige Person bot, nur für sie allein.
    Als Lauren zehn Jahre alt war, hatte sie die Heilige Johanna für sich entdeckt und sich leidenschaftlich in die Jungfrau von Orleans verliebt. So rein und edel, von Gott erwählt, begnadet mit der Gabe, den Weg gehen zu können, den sonst niemand sah. Ein unbefleckter Tod auf dem Scheiterhaufen, unberührt von niedrigen menschlichen Gefühlen. Mit dreizehn hatte Lauren einen Artikel gelesen, der sich mit Schizophrenie befaßte und in dem der Fall der Jungfrau von Orleans als klassisches Beispiel für Jugendschizophrenie herangezogen wurde. Damals war Lauren dem Wahnsinn nahe gewesen, wie sie später verstand, doch zum damaligen Zeitpunkt hatte sie auf die einzig mögliche Art reagiert, indem sie sich an ein winziges Fleckchen tief innerhalb ihres Selbst zurückzog, ein Fleckchen Sicherheit, wo sie niemand erreichen konnte. Ihr pubertäres In-sich-Zurückziehen hatte sie in einer schwierigen Phase behütet, während derer sie dachte, es sei gefährlich, etwas zu erfahren, bevor jemand anderes es erfahren hatte. Sie hatte sich geweigert, irgend etwas als erste zu sehen, aus Angst, etwas zu sehen, das es gar nicht gab. Ihre Mutter hatte sie zu einem Augen- und Ohrenspezialisten geschickt, der ratlos war und nichts anderes tun konnte, als das Aufsuchen eines Psychotherapeuten zu empfehlen.
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