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Verrückte Zeit

Verrückte Zeit

Titel: Verrückte Zeit
Autoren: Kate Wilhelm
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daß er dort ist und alles in sich aufnimmt. Dann zeichnet er es. Wie dieser andere, dieser Leonardo.
    – Komisch, daß du immer genau zu den Dingen hinsiehst, die ihn besonders interessieren, findest du nicht?
    – Zapft er dich nicht an?
    – Ganz selten, und nie ausgiebig.
    – Hast du nicht das Gefühl, daß irgend etwas mit ihm faul ist?
    – Nun ja, insofern, als er für den Schatten, die Finsternis – wenn auch unabsichtlich – verantwortlich ist, das muß ich zugeben, aber immerhin war er derjenige, der mit dem Ganzen noch einmal hätte anfangen können, und das macht ihn ziemlich ungewöhnlich. Einzigartig, könnte man sagen, denn soweit wir wissen, ist so etwas noch nie vorgekommen.
    – Yeah. Warum hast du dann soviel aufs Spiel gesetzt, indem du mir gesagt hast, ich soll in der Nähe sein, wenn er herüberkommt, und versuchen, ihn dazu zu bringen, in einem durchzugehen, wie ich es mit Pitts gemacht habe?
    – Das habe ich dir doch gesagt. Wir dachten, du könntest dich mit ihm verständigen.
    – Jetzt sag ich dir mal, was ich denke. Du hast gedacht, er würde mich erkennen, und der Schreck darüber würde die Dinge ins Rollen bringen.
    – Ähm … nein, nicht ganz. Es gibt viele unter uns, die die Dinge gerne zählen, einen Überblick über die Neuzugänge haben wollen, all solche Sachen. Ich verstehe solche Neigungen selbst nicht, aber so ist es nun mal. Sie wußten davon, als du ankamst, verstehst du, und wir dachten, daß du ihn vielleicht erkennen würdest und dich daran erinnern könntest, wenn deine Aufmerksamkeit direkt auf ihn gelenkt würde. Und dann, wenn er dich anzapfte, würde er Bescheid wissen. Ein beiderseitiges Erkennen, irgend etwas, das der Erinnerung auf die Sprünge helfen würde. Entweder das oder die Drohung, in die Hölle zu kommen, gemäß deinen/seinen Worten.
    – Das hättest du auch getan, oder?
    – Nun … zwei von eurer Sorte konnten wir hier wirklich nicht gebrauchen, verstehst du? Nicht, wenn einer von euch noch den Willen zum Leben hat. Es bestand ernstlich die Gefahr, daß du/er der Versuchung erliegen würde, die Vergangenheit zu ändern, eine ernste Gefahr der Zerstörung der Zusammenhänge, wenn wir keinen Ausweg gefunden hätten. Sehr ernst, mein Freund.
    – Ich habe gefragt, ob er ich war oder ich er, wie auch immer. Und du hast nein gesagt. Daran erinnere ich mich auch noch. Und das war gelogen. Das dürfte es gar nicht geben, daß jemand hier lügen kann.
    – Warum nicht? Alles Vorstellbare, jegliches Vorstellbare gehört uns. Märchen, Musik, Kunst, Wissenschaft, Philosophie, Politik. All das entsteht im Geist, wir können es enträtseln, damit spielen, Lügen dazu erfinden, wenn es uns Spaß macht, es wiedererfinden, ausarbeiten, Neues schaffen. Aber wir zwingen niemandem eine fremde Identität auf. Das ist ein zu intimer, zu persönlicher, unmöglich von außen zu beeinflussender Bereich. Wenn du ihn abgelehnt hättest, wie hätte ich dann anders verfahren können? Jeder, der nach dem Schatten kommt/kam, litt unter teilweisen Gedächtnislücken. Und zumindest das stellte eine echte, ernsthafte Gefahr dar. Wir hatten gehofft, du könntest das beheben. Bist du dir jetzt über ihn sicher?
    – Yeah, er ist ich. Ich habe die Verbindung bisher nicht hergestellt; er sah zu jung aus, und wie du richtig bemerkt hast, ich konnte mich nicht an ihn erinnern, eine Gedächtnislücke. Ich lebe lange, oder nicht? Und Lauren auch.
    – Na ja …
    – Ich meine, nach den Zeitmaßstäben von dort drüben. Okay?
    – Ja, das tust du, und sie auch.
    – Sieh nur, passen sie nicht wahnsinnig gut zusammen?
    – Wir passen, paßten wahnsinnig gut zusammen, Corky.
    – Du bist das! Wo kommst du denn her? Du weißt doch, wie die Chancen stehen, hier irgend jemanden wiederzufinden?
    – Nein. Sag’s mir. Aber jetzt sieh mal. Sind wir nicht hübsch?
    – Yeah. Und ob!
     
    Lauren lächelte leicht im Schlaf, sie träumte davon, daß sie Hand in Hand mit Corky spazierenging, wie sie es getan hatten, mit störrischen roten Haaren und blauen Puppenaugen, so, wie sie ihn immer am liebsten haben würde. Sie spazierten durch eine Wiese, die sich bis in die Unendlichkeit erstreckte, wo sie alle Zeit der Welt zur Verfügung hatten.
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