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Vermiss mein nicht

Vermiss mein nicht

Titel: Vermiss mein nicht
Autoren: Cecelia Ahern
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da, nicht ganz. Randvoll mit persönlichen Gegenständen, aber doch leer, weil die Menschen, denen sie gehören, nicht hier sind, um sie zu lieben.
    Wie ich hergekommen bin? Ich bin eine von diesen verschwundenen Joggerinnen. Erbärmlich, oder? Früher hab ich mir die ganzen B-Movies reingezogen und jedes Mal laut gestöhnt, wenn nach dem Vorspann gleich der Tatort gezeigt wurde, wo am frühen Morgen wieder mal eine Joggerin ermordet worden war. Es war doch strohdoof, dass Frauen sich unbedingt in stockdunkler Nacht oder in aller Herrgottsfrühe auf einsamen Gassen herumtrieben,
vor allem
, wenn jeder wusste, dass dort ein bekannter Serienkiller auf der Lauer lag. Aber genau das ist mir passiert – ich war eine berechenbare, bemitleidenswerte, tragisch naive Joggerin in einem grauen Trainingsanzug, die mit plärrenden Kopfhörern in den frühen Morgenstunden an einem Kanal entlangrannte. Allerdings hat mich niemand entführt, ich bin nur auf den falschen Weg geraten.
    Ich joggte also vor mich hin, und meine Füße schlugen wie immer wütend auf den Boden, sodass mein ganzer Körper vibrierte. Ich weiß noch, dass mir der Schweiß über Stirn, Brust und Rücken lief, und dass irgendwann eine kühle Brise aufkam, die mich, verschwitzt wie ich war, zum Frösteln brachte. Jedes Mal, wenn ich mir diesen Morgen durch den Kopf gehen lasse, muss ich gegen die Hoffnung ankämpfen, dass ich diesmal meinen verhängnisvollen Fehler vielleicht vermeiden kann. Natürlich komme ich trotzdem wieder vom Weg ab. Es passierte um Viertel vor sechs an einem hellen Sommermorgen, und abgesehen vom Titelsong aus Rocky, der in meinen Ohren dröhnte und mich anspornte, war alles still. Obwohl ich es nicht hören konnte, wusste ich, dass ich schwer atmete, denn ich legte mich beim Joggen immer ziemlich ins Zeug. Sobald ich Lust auf eine Pause bekam, zwang ich mich, noch schneller zu laufen. Keine Ahnung, was mich dazu trieb, meinem Körper stets neue Höchstleistungen abzuverlangen – ob es eine Strafe war, die ich mir tagtäglich auferlegte, oder ob beim Joggen einfach der Teil meiner Persönlichkeit die Oberhand gewann, der Dinge erforschen und zu unbekannten Orten vorstoßen wollte.
    Im Dunkel des grün-schwarzen Grabens neben mir entdeckte ich eine Blume, eine Water-Violet, auch Sumpfwasserfeder genannt. Auf einmal erinnerte ich mich daran, wie mein Vater mir als dünnem schwarzhaarigen Mädchen, das sich seines widersprüchlichen Namens schämte, einmal erzählt hatte, wie seltsam unpassend der Name dieser helllila-rosafarbigen Bachblüte mit dem gelben Punkt in der Mitte doch war, denn sie war weder violett, noch hatte sie Ähnlichkeit mit einer Feder. War sie nicht wunderschön? Und war der verquere Name nicht sehr lustig? Kopfschüttelnd hatte ich ihm geantwortet, dass ich unpassende Namen überhaupt nicht zum Lachen fand. Jetzt sah ich die Blume an und sagte ihr in Gedanken:
Ich weiß genau, wie du dich fühlst
. Aber im Weiterlaufen merkte ich plötzlich, wie mir meine Armbanduhr vom Handgelenk glitt und zwischen den Bäumen links von mir auf den Boden fiel. Als ich die Uhr das allererste Mal umgelegt hatte, war der Verschluss kaputt gegangen, und seither machte sie sich gelegentlich selbständig. Ich blieb stehen, drehte mich um und sah die Uhr unter einem Blutweiderich auf dem feuchten Boden der Kanalböschung liegen. Atemlos lehnte ich mich einen Moment an die raue Rinde einer Erle, und da entdeckte ich einen schmalen Trampelpfad, der nach links abbog. Nicht besonders einladend, sicher auch nicht unbedingt für Jogger gedacht, aber mein Forscherdrang befahl mir nachzusehen, wohin dieser Weg führte.
    Er führte mich hierher.
    Ich rannte so weit und so schnell, dass ich, als mein iPod seinen Vorrat an Songs aufgebraucht hatte, nicht mehr wusste, wo ich war. Von dicken Nebelschwaden umwabert, stand ich hoch oben an einem von Nadelbäumen überwucherten Berghang, der mir völlig unbekannt vorkam. Die Bäume standen kerzengerade in Habachtstellung, stachlig und abweisend wie Igel, die sich bedroht fühlten. Langsam nahm ich die Kopfhörer ab, hörte, wie mein Keuchen von den majestätischen Bergen widerhallte, und wusste, dass ich mich nicht mehr in der Kleinstadt Glin, ja wahrscheinlich nicht einmal mehr in Irland befand.
    Ich war hier, an diesem seltsamen Ort. Das war vor anderthalb Tagen, und ich bin immer noch hier.
    Ich arbeite als Ermittlerin, ich weiß, wie man bei einer Suche vorgeht. Gelegentlich packe ich meine Sachen
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