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Vermiss mein nicht

Vermiss mein nicht

Titel: Vermiss mein nicht
Autoren: Cecelia Ahern
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und verziehe mich einfach mal für eine Woche, ohne einem Menschen Bescheid zu sagen. Genau genommen verschwinde ich regelmäßig, breche für eine Weile den Kontakt zu meiner Umgebung ab, und niemand kümmert sich darum, was mir gerade recht ist. Ich mag es, wenn ich kommen und gehen kann, wie es mir gefällt, und dann reise ich oft zu den Stellen, wo man eine vermisste Person zuletzt gesehen hat, um die Gegend auszukundschaften und ein bisschen herumzufragen. Nur war das Problem jetzt, dass ich frühmorgens in diese Stadt gekommen und direkt zum Joggen ins Mündungsgebiet des Shannon, das Shannon Estuary, gefahren war. Bisher hatte ich mit niemandem gesprochen, mir noch keine Unterkunft gesucht, war noch über keine belebte Straße gegangen und hatte noch keinerlei Aufmerksamkeit auf mich gezogen. Mir ist klar, was die Leute sagen werden, ich weiß, dass ich für die Polizei nicht einmal ein richtiger Fall bin, sondern nur eine weitere Aussteigerin aus dem Alltag, die nicht gefunden werden will. So etwas passiert andauernd, und letzte Woche um diese Zeit hätte man mit dieser Annahme vielleicht sogar recht gehabt.
    Ich weiß, dass ich in den Augen der anderen nicht als vermisst gelten werde. Irgendwann werde ich der Kategorie C zugeordnet, in der Leute landen, die zwar verschwinden, aber keine Gefahr für sich selbst oder für ihre Mitmenschen darstellen. Beispielsweise Menschen über achtzehn, die beschlossen haben, ein ganz neues Leben anzufangen. Ich bin vierunddreißig, und nach Meinung meiner Bekannten bin ich bestimmt schon lange, lange scharf darauf, auszusteigen.
    Alles läuft darauf hinaus, dass momentan niemand da draußen auf die Idee kommen wird, mich zu suchen.
    Wie lange wird das so bleiben? Was passiert, wenn jemand den ramponierten 1991er roten Ford Fiesta am Kanal findet, mit der gepackten Reisetasche im Kofferraum, einer Vermisstenakte auf dem Armaturenbrett, einem bis dahin kalten, aber unberührten Kaffee und einem Handy auf dem Beifahrersitz?
    Was dann?

Fünf
    Moment mal.
    Der Kaffee. Gerade ist mir der Kaffee wieder eingefallen.
    Auf der Fahrt von Dublin habe ich an einer Tankstelle gehalten, die noch zu war, und mir aus dem Automaten einen Kaffee geholt; dabei hat er mich gesehen, der Mann, der an seinem Wagen den Reifendruck überprüft hat.
    Ich war mitten in der Pampa, morgens um Viertel nach fünf auf dem Land, wo die Vögel sangen und die Kühe so laut muhten, dass ich mich kaum denken hören konnte. Überall roch es nach Mist, zum Glück etwas gemildert vom süßen Duft der Geißblattranken, die in der leichten Morgenbrise schaukelten, als wären sie Lufterfrischer am Autorückspiegel.
    Dieser Fremde und ich waren gleichzeitig von allem losgelöst und doch mittendrin. In diesem Augenblick hatten wir beide keinerlei Kontakt zum sogenannten normalen Leben, und das reichte, dass unsere Blicke sich begegneten und wir uns unwillkürlich miteinander verbunden fühlten.
    Der Mann war groß, wenn auch nicht ganz so groß wie ich – aber das sind bekanntlich die wenigsten. Um die einsachtzig, mit einem runden Gesicht, roten Wangen, rotblonden Haaren und blauen Augen, die mir irgendwie bekannt vorkamen und schon um diese frühe Stunde müde wirkten. Er trug ziemlich abgewetzte Jeans, das blau-weiß karierte Hemd war von der Fahrt zerknittert, die Haare zerzaust, das Kinn unrasiert, und der Bauch hatte im Lauf der Jahre offenbar eine Tendenz nach vorn entwickelt. Ich schätzte ihn auf Mitte bis Ende dreißig, obwohl er älter aussah. Wahrscheinlich wegen der Falten auf der Stirn und um die Augen … das waren keine Lachfalten, er wirkte eher traurig. Und gestresst. An den Schläfen hatten sich ein paar graue Haare eingeschlichen, noch ganz ungewohnt auf dem jungen Kopf. Vermutlich war jede Strähne das Ergebnis einer harten Lektion, die das Leben ihn gelehrt hatte. Trotz des Bäuchleins wirkte er kräftig und muskulös, wie jemand, der körperlich arbeitet – ein Eindruck, der von den schweren Stiefeln an seinen Füßen noch untermauert wurde. Seine Hände waren groß, vom Wetter gegerbt und konnten ganz offensichtlich zupacken. Als er die Luftpumpe vom Ständer hob, konnte ich sehen, wie die Adern auf seinen Unterarmen hervortraten, denn er hatte die Ärmel seines Hemds unordentlich bis zum Ellbogen aufgekrempelt. Aber in diesem Hemd arbeitete er ganz sicher nicht, das war für ihn Sonntagskleidung.
    Ich ging zum Auto zurück, ohne ihn aus den Augen zu lassen.
    »Entschuldigen Sie, Sie
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