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Vermiss mein nicht

Vermiss mein nicht

Titel: Vermiss mein nicht
Autoren: Cecelia Ahern
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Nissan allein auf der Landstraße. Auch im Auto war es ganz still. Im Lauf des letzten Jahres hatte er gemerkt, dass er gegen unerwünschte Geräusche sehr empfindlich war. Wenn im Hintergrund ein Fernseher oder ein Radio lief, lenkte ihn das nur von seiner Suche nach Antworten ab. In seinem Kopf ging es schon aufgeregt genug zu: Rufen, Schreien, endlose Wiederholungen früherer Gespräche, Phantasien von zukünftigen Unterhaltungen, alles sprang dort herum wie die Affen im Käfig.
    Draußen dröhnte der Motor, die Karosserie rappelte, die Räder hüpften über Schlaglöcher und Unebenheiten. Seine Gedanken lärmten im stillen Auto, sein Auto lärmte in der stillen Umgebung. Es war Viertel nach fünf an einem sonnigen Julimorgen, und er musste haltmachen, weil nicht nur seine Vorderreifen, sondern auch seine Lungen frische Luft brauchten.
    Also fuhr er an die menschenleere Tankstelle, die dank der frühen Morgenstunde noch geschlossen war, und parkte neben der Luftpumpe. Während er die Glieder streckte, die nach der langen Fahrt ganz steif waren, lauschte er dem Vogelgezwitscher, ließ es die Gedanken aus seinem Kopf vertreiben und krempelte die Ärmel auf. Für den Augenblick kamen die Affen etwas zur Ruhe.
    Neben ihm hielt ein Auto. Die Gegend war so dünn besiedelt, dass er schon aus einer Meile Entfernung ein fremdes Auto erkennen konnte … und die Dubliner Nummer bestätigte seine Vermutung. Als Erstes erschienen aus der winzigen, ramponierten Blechbüchse zwei lange Beine, gefolgt von einem langen Körper in einem grauen Jogginganzug. Jack bemühte sich, nicht zu starren, beobachtete aber aus dem Augenwinkel, wie die Frau mit weit ausholenden Schritten zum Kaffeeautomaten neben der Tür der verrammelten Werkstatt marschierte. Erstaunlich, dass jemand ihrer Größe überhaupt in das kleine Auto passte, vorausgesetzt, sie war kein Schlangenmensch. Ihm fiel sofort auf, wie hübsch sie war mit ihren schwarzen Locken, und es kam ihm vor, als würde sie ihre Schönheit in dem kleinen Auto verstecken wie ein Juwel in einer rostigen alten Keksdose. Sosehr er sich auch vornahm, nicht zu glotzen, war es, als hätten seine und ihre Augen einander erfasst wie eine Rakete das Ziel, und nun gab es kein Zurück mehr. Dann hörte er, wie Metall auf den Boden klimperte, und sah, dass ihr etwas aus der Hand fiel.
    »Entschuldigen Sie, Sie haben da was verloren«, rief er.
    Verwirrt schaute sie sich um und ging zu der Stelle zurück, wo das Metall auf dem Boden glitzerte.
    »Danke«, lächelte sie, während sie etwas, was aussah wie ein Armband oder eine Uhr, wieder um ihr Handgelenk schlang.
    »Kein Problem. Schöner Tag heute, was?« Jack fühlte, wie der Schmerz in seinen geschwollenen Wangen zunahm, als er ihr Lächeln erwiderte.
    Er fühlte sich ihrem Blick auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, während sie ihn freundlich, aber durchdringend von oben bis unten musterte, als wollte sie jeden Zentimeter seines Körpers analysieren. Ihre grünen Augen funkelten wie Smaragde, als die Sonne durch die Blätter der hohen Bäume fiel, die porzellanweiße Haut schimmerte, die pechschwarzen Locken bildeten einen perfekten Rahmen für ein Gesicht, aus dem die Energie nur so sprühte.
    Schließlich zog sie die Augenbrauen hoch. »Super«, antwortete sie und erwiderte sein Lächeln. Dann verschwanden sie, ihre schwarzen Locken, der Styroporbecher mit dem Kaffee, samt den Beinen und allem anderen in dem winzigen Auto wie in einer Venusfliegenfalle.
    Während er dem davonfahrenden Ford Fiesta nachsah, wünschte er sich, sie wäre geblieben. Und wieder spürte er, wie sich die Dinge zwischen ihm und Gloria verändert hatten – oder vielleicht waren es auch nur seine Gefühle für sie. Langsam ging er zu seinem Auto zurück und blätterte als Vorbereitung für das Treffen mit Sandy Shortt noch ein bisschen in seinen Unterlagen.
    Jack war nicht religiös, seit zwanzig Jahren hatte er keine Kirche mehr von innen gesehen. In den letzten zwölf Monaten hatte er dreimal gebetet. Einmal darum, dass man Donal nicht tot aus dem Fluss fischte, das zweite Mal, dass es nicht Donals Leiche war, die man in der Gasse gefunden hatte, und das dritte Mal, dass seine Mutter ihren zweiten Schlaganfall innerhalb von sechs Jahren überleben würde. Zwei dieser drei Gebete waren erhört worden.
    Heute betete er zum vierten Mal. Er betete, dass Sandy Shortt ihn dort wegholen würde, wo er gestrandet war, und ihm die Antworten geben, die er so dringend
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