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Vermiss mein nicht

Vermiss mein nicht

Titel: Vermiss mein nicht
Autoren: Cecelia Ahern
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haben grade was verloren!«, rief er plötzlich.
    Sofort blieb ich stehen und sah mich um. Tatsächlich – hinter mir auf dem Asphalt lag meine Uhr und glitzerte in der Morgensonne. Blödes Ding, murmelte ich, während ich nachsah, ob sie beschädigt war.
    »Danke«, sagte ich und lächelte, während ich die zum Glück völlig intakte Uhr wieder ums Handgelenk legte.
    »Kein Problem. Schöner Tag heute, was?«
    Eine vertraute Stimme, die zu den vertrauten Augen passte. Bevor ich antwortete, inspizierte ich ihn noch eine Weile. Hatte ich ihn in einer Kneipe schon mal gesehen, war ich irgendwann mal betrunken mit ihm ins Bett gegangen, war er ein Ex-Liebhaber, ein Ex-Kollege, Klient, Nachbar oder Schulfreund? Gewissenhaft ging ich die Liste durch, wie ich es mir angewöhnt hatte, wenn ich jemandem begegnete. Falls ich noch nicht mit ihm im Bett gewesen war, zog ich es jetzt durchaus in Erwägung.
    »Super«, antwortete ich schließlich anerkennend und erwiderte sein Lächeln.
    Seine Augenbrauen hoben sich und senkten sich wieder, dann hatte er meinen Blick anscheinend verstanden, denn sein Gesicht fing vor Freude über das Kompliment an zu strahlen. Aber so gern ich geblieben wäre, so gern ich mit ihm geplaudert und vielleicht für irgendwann demnächst ein Date vereinbart hätte, war das leider nicht möglich, denn ich hatte eine Verabredung mit Jack Ruttle. Mit dem netten Mann, dem ich zu helfen versprochen hatte. Eigens zu diesem Treffen war ich ja von Dublin nach Limerick gekommen.
    Oh, bitte, du attraktiver Mann von der Tankstelle, bitte erinnere dich an mich, frag dich, wo ich geblieben bin, suche mich – und finde mich.
    Ja, ich weiß, das ist schon wieder ganz schön ironisch. Ausgerechnet ich wünsche mir, dass ein Mann mich sucht und findet? Meine Eltern wären wirklich stolz auf mich.

Sechs
    Auf der N69, der Küstenstraße, die von North Kerry nach Foynes im County Limerick führt, hing Jack Ruttle hinter einem Lastwagen fest, der gemächlich vor ihm hertuckerte. Jack wohnte in Foynes, es war fünf Uhr morgens, und dies war die einzige Straße zum Shannon Foynes Port, dem einzigen Seehafen von Limerick. Immer wieder starrte er auf den Tacho und versuchte den Laster telepathisch schneller zu machen, während er das Lenkrad so fest umklammerte, dass seine Knöchel schon ganz weiß waren. Trotz aller gut gemeinten Ratschläge seines Zahnarztes in Tralee, bei dem er erst gestern gewesen war, knirschte er heftig mit den Zähnen. Durch das ständige Zusammenbeißen waren vor allem die Backenzähne und das Zahnfleisch ziemlich lädiert, und sein ganzer Mund schmerzte. Seine Wangen waren gerötet und angeschwollen, und er konnte vor Müdigkeit kaum aus den Augen sehen. Statt bei seinem Freund in Tralee, auf dessen Couch er übernachtete, gründlich auszuschlafen, war er in aller Herrgottsfrühe aufgestanden und hatte beschlossen heimzufahren, solange es noch dunkel war. Zurzeit konnte er sowieso nicht gut schlafen.
    »Stehen Sie unter Stress?«, hatte der Zahnarzt gefragt.
    Jack hatte einen Fluch und den Impuls unterdrückt, seinen weit aufgerissenen Mund, mit dem er sowieso nicht antworten konnte, zuzuklappen und seine Zähne in die weißen Medizinerfinger zu schlagen, die beflissen an ihm herumwerkelten. Dass er Stress hatte, war die Untertreibung des Jahrhunderts.
    Jacks Bruder Donal war nach einem Kneipenbummel mit seinen Freunden in der Nacht seines vierundzwanzigsten Geburtstags in Limerick City spurlos verschwunden. Die Jungs hatten sich in den frühen Morgenstunden noch Burger und Pommes zu Gemüte geführt, und Donal war einfach aus der Imbissbude spaziert. Da das Etablissement sehr voll war, fiel ein Gast mehr oder weniger nicht auf, und Donals fünf Freunde waren zu betrunken, um überhaupt irgendetwas zu bemerken. Außerdem waren sie stark damit beschäftigt, ein paar Mädchen anzubaggern.
    Die Videokamera am Geldautomaten in der Henry Street hatte aufgenommen, wie Donal um 3 Uhr 08 in der besagten Freitagnacht dreißig Euro abhob, eine weitere Kamera, wie er um 3 Uhr 30 Harvey’s Quay hinunterstolperte. Danach verlor sich seine Spur im Nichts. Als hätte er sich in Luft aufgelöst oder wäre einfach in den Himmel emporgeschwebt. Inzwischen machte sich Jack mit dem Gedanken vertraut, dass das vielleicht so war. Wenn man einen stichhaltigen Beweis dafür finden würde, dass sein Bruder tot war, könnte er sich irgendwann damit abfinden, das wusste er.
    Es war die Unsicherheit, die ihn quälte. Die
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