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Vermiss mein nicht

Vermiss mein nicht

Titel: Vermiss mein nicht
Autoren: Cecelia Ahern
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Sorge um Donal hielt ihn wach, die Angst trieb ihn nachts aus dem Bett, und oft rannte er dann zur Toilette, um sich zu übergeben. Dass die Polizei seinen Bruder nicht finden konnte, spornte ihn auf seiner Suche nur noch weiter an. Er hatte den Zahnarzttermin mit einem Besuch bei einem Freund von Donal verbunden, der in der bewussten Nacht bei ihm gewesen war. Wie die anderen der Gruppe gehörte auch er zu den Leuten, die Jack gleichzeitig gerne verprügelt und in die Arme geschlossen hätte. Er wollte ihn anschreien und gleichzeitig trösten, weil er einen Freund verloren hatte, er wollte ihn nie wiedersehen und gleichzeitig nicht von seiner Seite weichen, für den Fall, dass er sich doch noch an etwas erinnerte, was ihnen weiterhalf. An etwas, was alle bisher vergessen hatten und plötzlich alle offenen Fragen beantwortete.
    Er verbrachte die Nächte damit, Landkarten zu studieren, Berichte zum hundertsten Mal durchzulesen, Zeitangaben und Aussagen doppelt und dreifach zu überprüfen. Gloria lag neben ihm, ihre Brust hob und senkte sich sanft, und ihr süßer Atem brachte manchmal die Papiere zum Flattern, während ihre schlafende Welt sich leise an seine heranschlich.
    Gloria, die seit acht Jahren seine Freundin war, schlief ständig. Sie hatte dieses ganze grässliche Jahr verschlafen, und doch träumte sie noch und hoffte auf morgen.
    Sie war eingeschlafen, nachdem sie stundenlang auf dem Polizeirevier gesessen hatten, jenes erste Mal, als sie sich ernsthaft Sorgen zu machen begannen, weil sie seit vier Tagen kein Lebenszeichen von Donal gehört hatten. Sie war eingeschlafen, nachdem die Polizisten den ganzen Tag den Fluss nach ihm abgesucht hatten. Sie schlief in der Nacht, nachdem sie Fotos von Donal in den Schaufenstern, am Schwarzen Brett im Supermarkt und an Laternenpfählen befestigt hatten. Sie schlief in der Nacht, nachdem man in einer Gasse angeblich Donals Leiche gefunden hatte, und sie schlief auch in der nächsten Nacht, als man herausfand, dass er es doch nicht gewesen war. Sie schlief, nachdem die Polizei verkündet hatte, man könne leider nach mehreren Monaten der Suche nichts mehr für Donal tun. Sie schlief in der Nacht nach der Beerdigung von Jacks Mutter, die an ihrem gebrochenen Herz gestorben war, sie schlief, nachdem der Sarg dieser Frau in die Erde gesenkt worden war, zu ihrem Ehemann, ohne den sie volle zwanzig Jahre ihres Lebens hatte verbringen müssen.
    Obwohl Jack genau wusste, dass Gloria nicht deshalb so gut schlief, weil ihr das alles gleichgültig war, irritierte es ihn trotzdem. Ihm war klar, dass sie mit ihm fühlte, das erkannte er daran, wie sie seine Hand gehalten hatte, als sie zusammen auf dem Revier saßen und die ganzen Fragen über sich ergehen ließen, daran, wie sie neben ihm am Fluss stand, während der Wind ihnen den Regen ins Gesicht peitschte und sie voller Entsetzen beobachteten, wie die Taucher wieder an die Oberfläche des trüben grauen Wassers kamen und ihre Gesichter noch finsterer waren als beim Abtauchen. Sie half ihm ganz selbstverständlich beim Verteilen der Fotos von Donal, sie hielt ihn im Arm und ließ ihn weinen, als die Nachricht kam, dass die Polizei die Suche einstellte, und sie wartete in der ersten Reihe auf ihn, während er den Sarg seiner Mutter durch die Kirche zum Altar trug.
    Das alles ließ sie nicht kalt, aber trotzdem schlief sie, obwohl Donal nun schon ein ganzes Jahr verschwunden war, schlief in den Stunden, die Jack die längsten seines Lebens zu sein schienen. In den Nächten litt er am meisten. Aber wie hätte Gloria das mitkriegen sollen, wenn sie doch schlief? Jede Nacht spürte er, wie die Distanz zwischen ihrer schlafenden Welt und seiner eigenen immer größer wurde.
    Er erzählte ihr nicht, dass er in den gelben Seiten die Adresse einer Agentur für Personensuche gefunden hatte. Auch nicht, dass er dort angerufen und mit einer Frau namens Sandy Shortt geredet hatte. Die Telefongespräche, die sie die ganze letzte Woche oft mitten in der Nacht geführt hatten, ließ er ebenso unerwähnt wie die Tatsache, dass die Entschlossenheit und der unerschütterliche Glaube dieser Frau seinen Kopf und sein Herz mit neuer Hoffnung erfüllt hatten.
    Und er sagte ihr auch nichts davon, dass er für den heutigen Tag im Nachbarort Glin mit der Frau verabredet war, weil … nun ja, weil sie eben schlief.
     
    Endlich, kurz bevor er zu Hause war, schaffte Jack es, den Laster zu überholen, und auf einmal war er mit seinem alten rostigen
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