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Vermiss mein nicht

Vermiss mein nicht

Titel: Vermiss mein nicht
Autoren: Cecelia Ahern
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ebendieser Straße, als ich meinen Ausbildungsplatz bei der Polizei bekam. Seither habe ich den Ort meiner Herkunft nur äußerst selten mit meiner Gegenwart beglückt. Ungefähr alle zwei Monate besuche ich meine Eltern in ihrem Reihenhäuschen, das in der kleinen Sackgasse mit zwölf Häusern steht, in der ich aufgewachsen bin. Gewöhnlich nehme ich mir vor, übers Wochenende zu bleiben, aber meistens halte ich es nur einen Tag dort aus und muss einen dringenden Notfall bei der Arbeit vorschützen, um mir so schnell wie möglich meine Tasche zu schnappen, die ich vorsorglich immer unausgepackt neben der Tür stehen lasse, und in Windeseile auf der Straße, die das Beste an Leitrim ist, das Weite zu suchen.
    Nicht dass ich je eine schlechte Beziehung zu meinen Eltern gehabt hätte. Sie waren immer sehr nett zu mir, haben mich unterstützt, wären jederzeit für mich durchs Feuer gegangen oder von einem Berg gesprungen und hätten mich mit ihren Leibern vor heransausenden Pistolenkugeln beschützt. Aber die Wahrheit ist, dass mir ihre Gesellschaft unbehaglich war. In ihren Augen konnte ich sehen, was sie sahen, und das gefiel mir nicht. Ich sah meine Reflektion in ihren Gesichtern deutlicher als in jedem Spiegel. Manche Menschen können das – sie schauen einen an und teilen einem mit ihrem Gesichtsausdruck unmissverständlich mit, wie man sich soeben verhalten hat. Vermutlich verfügten meine Eltern über diese Fähigkeit, weil sie mich liebten, aber ich konnte einfach nicht lange mit Leuten zusammen sein, die mich liebten – wegen dieser Augen, wegen dieses Spiegelbilds.
    Schon als ich noch ein Kind war, sind sie auf Zehenspitzen um mich herumgeschlichen, haben mich in dieser selbst erzeugten Stille argwöhnisch beobachtet, Pseudogespräche geführt und gekünsteltes Gelächter produziert, das überall im ganzen Haus widerhallte. Sie versuchten, meine Gedanken abzulenken und eine entspannte Atmosphäre von Normalität zu schaffen. Aber ich durchschaute sie. Ich wusste auch, warum sie sich so aufführten, und so schafften sie letztlich nur, mir bewusst zu machen, dass etwas nicht stimmte.
    Sie waren so hilfsbereit, sie liebten mich so sehr, und jedes Mal, wenn ich wieder einmal das Haus auf den Kopf stellte, um etwas zu suchen, gab es die gleichen netten Abwehrmechanismen. Milch und Kekse am Küchentisch, Musik aus dem Radio, das Brummen der Waschmaschine im Hintergrund – alles nur, um die unbehagliche Stille zu übertünchen, die unweigerlich über uns hereinbrach.
    Mum betrachtete mich mit einem Lächeln, das nie ihre Augen erreichte, diesem Lächeln, bei dem sie, wenn sie dachte, ich würde nicht hinsehen, die Lippen fest zusammenkniff und leise mit den Zähnen knirschte. Die gezwungene Lockerheit ihrer Stimme, das verbissen glückliche Gesicht, wenn sie neckisch den Kopf schief legte – wobei sie sich alle Mühe gab, mich nicht merken zu lassen, dass sie mich durchdringend musterte – und fragte: »Warum möchtest du denn das Haus wieder durchsuchen, Honey?« Immer nannte sie mich Honey, als wüsste sie, dass ich genauso wenig Sandy Shortt war wie Jenny-May Butler ein Engelchen.
    Ganz egal, wie viel Lärm und Geschäftigkeit in der Küche heraufbeschworen wurde, um die Stille zu füllen, es funktionierte nie. Die Stille überschwemmte alles.
    »Weil wieder eine Socke weg ist«, beantwortete ich ihre Frage wahrheitsgemäß.
    »Von welchem Paar denn diesmal?«, hakte sie nach, mit diesem unecht entspannten Lächeln, mit dem sie mir vorzugaukeln versuchte, dass es sich um ein ganz beiläufiges Gespräch handelte und nicht etwa einen verzweifelten Versuch herauszufinden, wie ich eigentlich tickte.
    »Von dem blauen mit den weißen Streifen.« Ich zog grundsätzlich nur farbenfrohe Socken an, weil sie gut zu identifizieren waren und sich im Allgemeinen leicht finden ließen.
    »Hmm, vielleicht hast du sie nicht beide in den Wäschekorb getan, vielleicht ist eine noch bei dir im Zimmer.« Erneut das aufgesetzt entspannte Lächeln, das unterdrückte nervöse Gezappel, das mühsame Schlucken.
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich hab beide in den Korb geworfen, und ich hab auch gesehen, wie du beide in die Waschmaschine gesteckt hast. Aber es ist nur eine wieder rausgekommen. Sie ist nicht in der Maschine und auch nicht im Korb.«
    Der Plan, als Ablenkung die Waschmaschine anzustellen, erwies sich als Schuss in den Ofen, denn stattdessen rückte die Maschine jetzt ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Trotzdem bemühte
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