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Vermiss mein nicht

Vermiss mein nicht

Titel: Vermiss mein nicht
Autoren: Cecelia Ahern
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nicht gefunden werden wollten. Doch viel zu oft fanden wir Vermisste gar nicht, keine Spur. Solche Fälle machten mich wahnsinnig, so sehr, dass ich oft einfach auf eigene Faust weitersuchte. Ich ermittelte in Fällen, die längst abgeschlossen waren, ich blieb mit den Familien in Kontakt, nachdem die offizielle Suche längst abgeblasen war. Bis man mir irgendwann mitteilte, ich solle gefälligst mit diesen Sperenzchen aufhören. Es gab dringendere Fälle, bei denen meine Arbeitskraft gebraucht wurde. Nach einer ganzen Serie von solchen und ähnlichen Ermahnungen wurde mir klar, dass es für mich schlicht nicht möglich war, mich einem neuen Fall zuzuwenden, bevor ich den vorhergehenden hundertprozentig gelöst hatte.
    Man warf mir vor, ich würde den Leuten falsche Hoffnungen machen, und meine ständige Sucherei hindere die Familien daran, sich damit abzufinden, dass die gesuchte Person einfach verschwunden war und man nie etwas Genaues über ihren Verbleib in Erfahrung bringen würde. Aber ich konnte einfach keinen Schlussstrich ziehen, denn für mich galt als Schlussstrich nur, wenn ich die vermisste Person wiederfand. Ich akzeptierte keine Zwischenlösung. Deshalb schmiss ich meinen Job bei der Polizei eines Tages hin, machte mich selbständig und das Suchen zu meinem Beruf. Ihr würdet nicht glauben, wie vielen Menschen das genauso am Herzen lag wie mir. Allerdings fragten sich meine Klienten oft, aus welchem Grund ich eigentlich suchte. Sie selbst hatten ja eine Beziehung zu den Vermissten, sie liebten sie und wollten sie wiederhaben. Wenn es mir also nicht ums Geld ging – und darum ging es mir ganz offensichtlich nicht –, worin bestand dann meine Motivation? Vermutlich ging es mir um meinen Seelenfrieden. Das Suchen half mir, abends einzuschlafen.
    Aber wie kann jemand wie ich, mit meinen körperlichen Eigenschaften und meiner inneren Einstellung, verloren gehen?
    Dabei fällt mir ein, dass ich euch noch gar nicht meinen Namen gesagt habe. Ich heiße Sandy Shortt. »Short« wie »klein«. Ja, es darf gelacht werden. Wenn es mir nicht das Herz brechen würde, würde ich auch darüber lachen. Meine Eltern haben mich Sandy genannt, weil ich mit dichten sandfarbenen Haaren auf die Welt gekommen bin. Leider konnten sie nicht wissen, dass meine Haare pechschwarz werden würden und dass meine niedlichen feisten Beinchen bald nicht mehr strampeln, sondern viel zu schnell wachsen und viel zu lang werden würden. Also nochmal: Mein Name ist Sandy Shortt. Sandhell und klein sollte ich sein, so definiert mich mein Name für alle Zeiten, aber leider trifft das genaue Gegenteil auf mich zu. Dieser Widerspruch bringt die Leute fast immer zum Lachen, wenn ich mich vorstelle, aber ich hoffe, ihr könnt mir verzeihen, wenn ich selbst unter diesen Umständen keine Miene verziehe. Wisst ihr, es ist nicht lustig, verschwunden zu sein, aber ich habe gemerkt, dass es auch nicht viel anders ist als vorher – ich mache eigentlich genau dasselbe wie immer.
    Ich suche. Nur suche ich jetzt nach einer Möglichkeit, gefunden zu werden.
    Eines hab ich allerdings gelernt, und das ist durchaus erwähnenswert: Auf einmal sehne ich mich nach Hause zurück. Und das ist vollkommen neu.
    Was für ein miserables Timing. Dass mir das ausgerechnet jetzt klar wird, ist wahrscheinlich die größte Ironie an der ganzen Geschichte.

Drei
    Geboren und aufgewachsen bin ich im County Leitrim, dem mit ungefähr 25000 Einwohnern kleinsten irischen County. Da meine Heimatstadt früher die Hauptstadt war, sind dort die Überreste einer Festung und noch ein paar andere altehrwürdige Gebäude zu bewundern. Heute hat das Städtchen allerdings seine Bedeutung verloren und ist praktisch zu einem Dorf geschrumpft. Die Gegend ist hauptsächlich hügelig, aber es gibt auch richtige Berge mit tief eingeschnittenen Tälern und pittoresken Seen. Der Boden kann besonders gut Wasser speichern, und es ist ein stehender Witz, dass man die Grundstücke in Leitrim nach Litern und nicht nach Hektar verkauft. Leitrim grenzt nirgends ans Meer, sondern im Westen an Sligo und Roscommon, im Süden an Roscommon und Longford, im Osten an Cavan und Fermanagh und im Norden an Donegal. Wenn ich dort bin, werde ich jedes Mal von klaustrophobischen Gefühlen überfallen.
    Besonders bezeichnend für Leitrim aber ist der Spruch, dass das Beste an dieser Grafschaft die Straße ist, die nach Dublin führt. Mit siebzehn war ich mit der Schule fertig und landete tatsächlich auf
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