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Verkehrte Welt

Verkehrte Welt

Titel: Verkehrte Welt
Autoren: Juergen von der Lippe
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Strähnchen.
    »Danke, nein, das brauchen wir nicht«, gab Holger zurück, nicht ohne einen Moment lang daran zu denken, dass der Rezeptionistin sicher nicht auffallen würde, dass »das« sich auf »das Umziehen« bezog und nicht auf die Spindschlüssel, denn dann hätte es »die« heißen müssen, möglicherweise auch »den«, wenn man den einzelnen Schlüssel meint, den jeder von ihnen bekommen hätte. Aber nie hätten er und Ingrid in der Tennishalle oder Wellness-Oase , wie der Komplex jetzt hieß, die Umkleideräume oder gar Duschen in Anspruch genommen.
    »Da ist der Fußpilz quasi vorprogrammiert«, hatte Ingrid gesagt.
    »Programmiert reicht, Liebes«, hatte Holger sie sanft ermahnt, »vorprogrammieren ist ein Pleonasmus, oder wie du es ausdrücken würdest, doppelt gemoppelt.«
    Holger war Lehrer und zwar rund um die Uhr. Als er von Berlin weggezogen war, um in der Provinz eine Stelle als Studienrat für Deutsch und Philosophie anzunehmen, hatte er es nicht der besseren Bezahlung wegen getan, sondern um Ingrid nahe zu sein, der Friseurin.
    Sie wurde seine Muse, er ihr Mentor. »Ich Higgins, du Eliza«, dachte er manchmal, wenn er sich mit etwas zu viel Cabernet/Merlot, vorzugsweise aus Südaustralien, in die Hipster-Umlaufbahn geschossen hatte. Diesen sprachlich bedenklichen, aber flott wirkenden Ausspruch hatte er mal in einer Zeitschrift für junge Leute aufgeschnappt und benutzte ihn, wo es ging.
    »Wie ist es mit dem Licht, machen Sie das an, oder gibt es Münzautomaten auf dem Platz?«, fragte Ingrid, die sich für die praktischen Seiten ihres gemeinsamen Lebens zuständig fühlte.
    »Das mach ich euch an, und dann kriege ich 17 Euro, ihr habt Platz 7, das ist der hinterste. Okay, 20, drei zurück. Jutifein, dann viel Spaß.«
    »Jutifein, hast du das gehört, Ingrid, was war das denn bitte?«, fragte Holger, als sie außer Hörweite waren.
    »Na eine persönliche Variation von gut und fein, viele sagen nur juti, und jutifein ist noch mal eine neue Version, praktisch ein Upgrade.«
    »Sehr gut, Ingrid, man nennt es korrekt eine mündliche Redevariation, aber es hat natürlich in unserem Sprachschatz nichts zu suchen, denn machen wir uns nichts vor, derlei ist ein sicherer Unterschichtsindikator«, sagte Holger und schaute seine Frau und Elevin mahnend an.
    Beim Betreten der Halle kamen ihnen zwei junge Männer entgegen, die mit offenem Mund Kaugummi kauten, was Holger auf den Tod nicht ausstehen konnte. Einer von ihnen schien Ingrid zu kennen, denn er hob den Arm zum Gruß und lachte sie an.
    »Hey Mann, Inge-Baby, was geht, alles fit im Schritt? Wir machen gerade den Abpfiff, hömma, kannst du mir bis morgen bisschen Sackgeld rüberschieben? Wir wollen noch in den Asi-Toaster, aber dieser Denkzwerg hier«, er deutete auf seinen Kollegen, »hat die Kohle im Schlampenschlepper vergessen, und der steht 30 Meilen von hier.«
    Als Ingrid den Mund öffnete, um zu antworten, war es Holger, als höre er eine Wildfremde sprechen, oder besser gesagt: Vokal- und Konsonantenfolgen absondern, also bloße Phoneme, die keinerlei semantische Relevanz für ihn besaßen.
    »Sorry, Schnullebacke, ich kriege sowieso noch 20 Öcken von dir, und von wegen Schlampenschlepper lach ich doch, wann hast du das letzte Mal ne Uschi auf den Turm geschleppt zum Aalwässern, vor der Wende oder was?«
    Die Miene des jungen Mannes hellte sich auf, er verstand Ingrid offenbar und verfiel seinerseits in eine fremd klingende Mundart: »Isch fick die erste Reihe bei deine Beerdigung, Alder, isch schwör, und deim Beschäler schteck isch sein Kopf in sein Hals, doofe Tuss, du, escht, gib mir fünf!«
    Dann strahlten sich die beiden an, klatschten sich in Kopfhöhe ab, und Ingrid sagte zu Holger: »Hasse ma'n Zwanni?«
    Holger wandte den Blick gen Himmel und seufzte: »Wenn dies am grünen Holz geschieht, was mag am dürren werden?«, kramte einen 20-Euro-Schein aus seinem Brustbeutel und reichte ihn Ingrid, die ihn an den bildungsfernen juvenilen Prekariatsangehörigen weiterreichte.
    »Voll fett, Alde! Du rockst total! Gedankt!«
    Mit fast brechenden Augen sah Holger die Frau an, deren geistiger Erhöhung er sein Leben zu weihen einst beschlossen hatte, offenbar ein schwerer Fehler.
    »Und nun zu dir, du Sülzkopp«, zwitscherte Ingrid, »der Spruch vom grünen Holz bezieht sich nicht auf den Gegensatz von Jung und Alt, sondern von Gerechten und Sündern, hat mir mal ein Pfarrer erklärt, mit dem ich was hatte. Aber schön, dass du dir um
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