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Verkehrte Welt

Verkehrte Welt

Titel: Verkehrte Welt
Autoren: Juergen von der Lippe
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Schimpfkanonaden des Postlers erstarben, als Theo ihm weinend den gerissenen Bremszug zeigte. Zum Glück war bei beider Sturz nicht viel passiert, wenn man einmal davon absah, dass Theo den Brief seines Vaters unbemerkt mit dem eigenen ausgetauscht hatte.
    Zurück zu Hause, fuhr er Vaters Computer hoch, öffnete vorsichtig den Umschlag, las den Brief und scannte ihn ein. Nach zwei Stunden intensiver Arbeit in einem Bildbearbeitungsprogramm hatte er die Worte seines Vaters neu zusammengefügt. In der untersten Schreibtischschublade fand er das handgeschöpfte Briefpapier, das sein Vater für die private Korrespondenz zu verwenden pflegte, steckte ein Blatt in den Drucker und ließ sich den Brief in zartem Grau ausdrucken. Mit dem Füller zog er sorgfältig die Linien auf dem Papier nach. Das Ergebnis sah absolut echt aus.
    Cool, dachte er, der geht gleich in die Post, dann löschte er die verräterischen Dateien im Computer, und bevor er den Brief wieder in den Umschlag steckte, las er ihn sich noch einmal laut vor:
     
    »Liebe Amelie,
     
    ich hoffe, es geht Dir gut und Du kommst bald nach Hause. Bei uns läuft es jetzt toll. Ich habe eingesehen, dass ich Theo oft sehr ungerecht behandelt habe. Nun kümmert er sich rührend um mich, sodass ich endlich die Kraft gefunden habe, der Sucht den Rücken zu kehren und zu meiner Homosexualität zu stehen. Ich bedauere zutiefst, Dein Oberstübchen dermaßen strapaziert und durcheinandergebracht zu haben. Verzeih! Es war eine harte Zeit, und erst heute, mit einigem Abstand, begreife ich, dass es für Dich weiß Gott kein Pappenstiel war, mit einem gewalttätigen, drogenabhängigen und schwulen Monster wie mir, dazu noch evangelischem Bischof, zusammenzuleben. Sobald Du wieder auf dem Damm bist, überlasse ich Dir das Haus und ziehe aus. Das wird die beste Lösung sein. Ich denke, mit drei großen Zetteln im Monat kommt Ihr finanziell gut hin?
     
    Halte die Ohren steif, liebe Grüße, Dein Ernst«
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THERAPIE
    Wolf Grohlmann saß im Foyer des Savoy-Hotels.
    »Donnerwetter«, dachte er und schmeckte dem ersten Satz noch einmal nach, »von acht Wörtern nur drei ohne ›O‹, das ist ein guter Schnitt!«
    Womöglich hatte Wolfs O-Philie etwas mit seinem Namen zu tun, das hätte eine Psychoanalyse vielleicht ergeben, aber mit so altmodischem Kram gab sich der jüngste Sohn des Schrottgroßhändlers Horst Grohlmann nicht ab. Seit er sich beim Tode des Alten seinen Firmenanteil hatte auszahlen lassen, pflegte er ein ganz besonderes Hobby: vorauseilende Analyse. Er setzte sich irgendwohin, wo es Menschen gab, guckte sich einen aus und skizzierte auf zwei, drei Seiten eine gemeinsame Zukunft. Jeder dieser Berichte begann mit: »Wolf Grohlmann saß, lag, hing, steckte oder befand sich sonst wie« und dann eine Ortsangabe, alles mit so viel Os wie möglich. Sein Blick fiel auf die Drehtür, durch die gerade jemand hereinkam, und Wolf dachte nur: »Oh Gott! Die sieht ja aus wie ...«, und er griff zum boli, wie in Spanien der Kuli heißt, und schrieb:
     
    »Wolf Grohlmann hockte auf dem Hausboot seines Kollegen Kolja, der hier und heute seinen sosten Geburtstag beging, und opferte Neptun eine viel zu hastig absorbierte 5-fache Geneverrunde, als gerade mit großem Hallo das verspätete Kommen von Koljas Freundin Olga gefeiert wurde. Sie kam ihm bekannt vor, aber dass es tatsächlich Olga Orlowski, die ungekrönte polnische Pornoqueen war, hätte er Kolja gar nicht zugetraut. Noch viel weniger hätte er jemals angenommen, dass sie vom ersten Blickkontakt an nur noch Augen für ihn haben würde. Sie nutzte volle Knolle ihre exorbitante erotische Ausstrahlung, um ihn zum Kochen zu bringen, und schon eine Stunde später, als draußen 50 Böllerschüsse das pyrotechnische Geburtstagbombardement eröffneten, hatte sie in der Dusche hinter einem roten Vorhang seine Körpertemperatur in eine Höhe getrieben, die zum Stahlkochen ausgereicht hätte. Sie beschlossen noch in der Nacht ihre baldige Hochzeit in Las Vegas, Wolf wurde ihr Produzent, doch die ersten drei Pornos floppten total, weil kein Pornokonsument Elemente des Film noir oder lange Monologe über den Tod oder obskure Dämonen braucht. Mit der geschäftlichen Fortune verflog auch die körperliche Anziehung. Wolf meinte, wenn er ihre Brüste ohne große Begeisterung knetete, das Silikon quietschen zu hören. Olga ihrerseits
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