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Verheißene Erde

Verheißene Erde

Titel: Verheißene Erde
Autoren: James A. Michener
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zu trinken. Wir müssen fortziehen.«
    Sofort sprang die alte Kharu auf und begann, auf ihrem Territorium hin und her zu rennen. Da die anderen mit Stöcken abgegrenzten Wohnflächen ganz nahe waren, konnte jeder ihre murrenden Proteste hören: »Wir brauchen mehr Straußeneier. Wir können nicht fortgehen, bevor Gao seine Antilope erlegt hat.« Sie zeterte weiter, eine alte Vettel von zweiunddreißig mit faltenübersätem Gesicht und schriller Stimme. Sie maß nur einsachtunddreißig, übte aber großen Einfluß aus. Als ihr Wortschwall versiegte, warf sie sich, keine zwanzig Zentimeter von ihrem Mann entfernt, zu Boden und schrie: »Es wäre Wahnsinn fortzugehen.«
    Gumsto war froh, daß sich ihr Protest in Grenzen hielt, und wandte seine Aufmerksamkeit den Männern auf den anderen Wohnflächen zu, die so nah waren, daß er von seinem Platz aus zu ihnen allen sprechen konnte: »Laßt uns das Nashorn töten, uns sattessen und auf den Weg machen zu neuen Gewässern.«
    »Wo werden wir sie finden?«
    Gumsto zog die Schultern hoch und zeigte zum Horizont. »Wie viele Nächte?«
    »Wer weiß?«
    »Wir wissen, daß sich die Wüste viele Nächte erstreckt«, sagte ein ängstlicher Mann. »Das haben wir gesehen.«
    »Andere haben sie durchquert«, sagte Gumsto rasch. »Das wissen wir auch.«
    »Aber jenseits von ihr? Was dann?«
    »Wer weiß?«
    Die Unbestimmtheit seiner Antworten erschreckte ihn ebenso wie die anderen, und vielleicht wäre er vor diesem großen Wagnis zurückgeschreckt, hätte er nicht zufällig Naoka gesehen, die sich hinter der dünnen Reihe von Stäben, die ihre Wohnfläche markierten, im Sand räkelte. Sie war ein prächtiges Mädchen. Ihre glatte Haut war bedeckt mit Perlen, die aus der dicken Schale von Straußeneiern geschnitten waren. Ihr Gesicht strahlte die Freude eines schönen jungen Tieres aus, und sie wünschte sich offensichtlich einen Mann als Ersatz für den, den das Nashorn getötet hatte. Sie war sich der hungrigen Blicke, die Gumsto auf sie richtete, bewußt, lächelte und nickte kaum merklich, als wollte sie sagen: »Laß uns gehen.« Und er erwiderte ihr Nicken, wie um zu antworten: »Wie herrlich, die Gefahren mit dir zu teilen.«
    Es war ungewöhnlich, daß ein mannbares Mädchen wie Naoka für eine neue Ehe verfügbar war; eine Sippe konnte dreißig Jahre lang zusammenleben, ohne daß es zu einem solchen Zufall kam, denn es war Brauch bei diesem Stamm, daß ein Mädchen heiratete, wenn es sieben und ihr Mann neunzehn oder zwanzig Jahre alt war, denn dann wurden Schwierigkeiten vermieden. Es war eine gute Sitte, denn der Mann konnte seine Frau so erziehen, wie er sie sich wünschte. Wenn sie in die Pubertät kam, um eine wirkliche Frau zu werden, würde sie entsprechend erzogen sein und wissen, was ihren Mann ärgerte oder ihm gefiel. Und da er gezwungen war, Zurückhaltung zu üben, solange seine Frau noch ein Kind war - er wurde geächtet, wenn er sie sexuell belästigte, bevor sie ihre zweite Periode hatte -, erwarb er die Selbstbeherrschung, ohne die kein Mann ein guter Jäger werden konnte. Es gab auch schwache Punkte in diesem System. Da der Mann viel älter sein mußte als die Frau, gab es in jeder Gruppe einen Überschuß an alten Witwen, deren Männer bei der Jagd gestorben oder auf der Suche nach Honig von einem hohen Baum zu Tode gestürzt waren. Diese älteren Frauen durften bei der Sippe bleiben, solange ihre Zähne noch funktionierten; wenn sie nicht mehr kauen oder beim Gehen mithalten konnten, setzte man sie in den Schatten eines Gebüsches, gab ihnen einen Knochen mit etwas Fleisch daran und ein Straußenei. Sie starben dann in Würde, während die Sippe weiterzog.
    Unnütze alte Witwen waren daher üblich, aber schöne junge wie Naoka waren eine kostbare Seltenheit, und Gumsto rechnete sich aus, daß, wenn er die alte Kharu irgendwie günstig stimmen könnte, er eine angemessene Aussicht hätte, Naoka als zweite Frau zu gewinnen. Er war sich aber darüber im klaren, daß er es vorsichtig anstellen mußte, denn Kharu hatte seine Absichten bereits durchschaut. Außerdem war es ihm nicht entgangen, daß auch sein Sohn, wie alle anderen Männer, ein Auge auf das schöne Mädchen geworfen hatte.
    Er lehnte sich also an den Baum, den rechten Fuß in die Höhlung über seinem linken Knie gelegt, und machte eine
    Bestandsaufnahme von sich selbst. Er war ein normaler, gutaussehender Mann, etwas größer als die anderen in seiner Gruppe. Er war kräftig gebaut, mit breiten
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