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Verheißene Erde

Verheißene Erde

Titel: Verheißene Erde
Autoren: James A. Michener
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bevorzugten dunklere Waldungen und erschienen selten an ungeschützten Wasserstellen.
    Dann blieb noch das Tier, das die Jäger mehr schätzten als alle anderen: die riesige Elenantilope, höher als ein Mensch, ein bemerkenswertes Geschöpf mit Hörnern, die sich vom
    Ansatz bis zur Spitze drei- oder viermal spiralförmig drehten, einem schwarzen Haarbüschel zwischen den Hörnern, einer kräftigen Wamme und einem deutlichen weißen Streifen, der das Vorderteil vom Rest des Körpers trennte. Den Jägern lieferte dieses stattliche Tier Nahrung, Mut und Seelenstärke. Die Elenantilope war der sichtbare Beweis dafür, daß es Götter gab, denn wer sonst hätte ein so vollkommenes Tier ersinnen können? Sie verlieh dem Leben der San Gefüge, denn um sie zu fangen, mußten die Menschen nicht nur klug, sondern auch gut organisiert sein. Sie diente einem Volk, das keine Kathedralen und Altäre besaß, als geistiges Kompendium; ihre Bewegungen gaben einen Abriß vom Weltall und bildeten einen Maßstab für menschliches Verhalten. Die Elenantilope wurde nicht als Gott betrachtet, sondern eher als Beweis für die Existenz von Göttern, und wenn nach der Jagd das Fleisch ihres Körpers verteilt wurde, genossen alle, die es aßen, auch gleichsam seine Quintessenz, ein keineswegs ungewöhnlicher Glaube. Tausende Jahre nach Gumstos Tod würden andere Religionen entstehen, in denen das Ritual des Verzehrens des Körpers eines Gottes Segnung verleihen würde.
    So konnte Naoka, den Traditionen ihres Volkes getreu, die alte Kharu auslachen und den Gedanken einer Hochzeit mit Gao zurückweisen: »Laß ihn sich selbst beweisen. Laß ihn seine Elenantilope erlegen!«
    Nun war es Kharu klar, daß die junge Frau ihr Gumsto rauben würde, der zeigte, daß er auf diesen Raub leidenschaftlich erpicht war - wenn sie es ihrem Sohn Gao nicht ermöglichte, seine Eignung als Jäger zu beweisen. Für die alte Frau war es deshalb ratsam, die Jagdzüge zu forcieren; zu diesem Zweck mußte sie sicherstellen, daß eine ausreichende Menge Gift für die Pfeile zur Verfügung stand. Das war immer ihre Aufgabe gewesen, und sie war auch jetzt bereit, sich um einen neuen Vorrat zu kümmern. Sie war, ebenso wie ihr Mann, in tiefster Sorge um das Fortbestehen ihrer Sippe, und sie sah ein, daß sie, um es zu sichern, anderen Frauen das Sammeln von Giften beibringen mußte. Keine von ihnen hatte jedoch besondere Geschicklichkeit gezeigt. Offensichtlich war Naoka jene, auf die sich die Sippe in Zukunft würde verlassen müssen, und es war Kharus Aufgabe, sie in ihr Amt einzuweihen, ungeachtet der Furcht, die sie ihr einflößte. »Komm«, sagte sie eines Morgens, »wir müssen das Gift ergänzen.« Und die beiden Frauen, die so schlecht zueinander paßten und von gegenseitigem Mißtrauen erfüllt waren, machten sich gemeinsam auf die Suche. Sie gingen fast einen halben Tag lang nach Norden, zwei Frauen allein in der Savanne, wo immer die Möglichkeit bestand, einem Löwen oder Nashorn zu begegnen. Sie wurden vorwärts getrieben von der Notwendigkeit, die Substanz zu finden, die es der Gruppe ermöglichen würde zu überleben. Bisher hatten sie noch nichts gefunden.
    »Was wir suchen, sind Käfer«, sagte die alte Kharu, während sie das dürre Land absuchten, »aber nur solche mit zwei weißen Flecken.« In Wirklichkeit suchten sie jedoch nicht die Käfer, sondern nur deren Larven, und zwar immer die besondere Art mit den weißen Flecken und, wie Kharu erklärte, mit einem zusätzlichen Paar Beine.
    Es ließ sich unmöglich erklären, wie die Frauen dieser Sippe während eines Zeitraums von mehr als zehntausend Jahren dieses kleine Tierchen herausgefunden hatten, das als einziges seiner Art fähig war, ein Gift von unbarmherziger Bösartigkeit zu produzieren. Wie war es zu dieser Entdeckung gekommen? Daran erinnerte sich keiner, denn es war vor so unendlich langer Zeit geschehen. Aber wenn Menschen weder schreiben noch lesen können, wenn es keine Äußerlichkeiten gibt, die ihre Gedanken ablenken können, sind sie fähig, ihr Leben der genauen Beobachtung zu weihen, und wenn sie Jahrtausende Zeit haben, Volksweisheit zu sammeln, kann das mit der Zeit eine sehr hoch entwickelte Weisheit werden. Solche Menschen entdecken Pflanzen, die subtile Drogen liefern, und Erze, aus denen man Metall gewinnt, Zeichen am Himmel, die das Pflanzen von Getreide bestimmen, und Gesetze, die die Gezeiten steuern. Gumstos San-Volk hatte Zeit gehabt, die Larven von tausend
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